Aufs Auge - Schlägereien wie in der NHL sollen bald auch in den Schweizer Stadien zum Alltag gehören.
Als 1875 in Kanada das erste Hockeyspiel zwischen zwei Teams der McGill-Universität abgehalten wurde, mussten sich die Sportler nur an rudimentärste Regeln halten.
Die Spieler nahmen Rechtsfragen darum bald in die eigenen Hände – und liessen die Fäuste sprechen. Die Hockeykultur Nordamerikas basiert seit den frühesten Tagen auf dieser Selbstreinigung, in der NHL ist der Faustkampf seit drei Jahren wieder auf dem Vormarsch.
Dies entgegen den Absichten der Liga, das Geschehen in den Stadien auf ein familienkompatibles Mass an Gewalt zu reduzieren. Aber die Hockey-Nostalgiker lassen sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen – die «Goons» gehören zur NHL, in den Stadien erreicht die Stimmung jeweils dann den Höhepunkt, wenn zwei Rabauken die Verhältnisse im gerechten Zweikampf zurechtrücken.
Lasst die Fäuste sprechen
Soll ab nächster Saison auch in den Schweizer Stadien das Faustrecht gelten? Die NLA-Klubs haben letzte Woche diese Anregung gemacht. Wird der Vorschlag angenommen, könnte bei uns ab nächster Saison praktisch straffrei geprügelt werden. Im Moment wird eine Schlägerei ohne Handschuhe mit einem Restauschluss bestraft, dazu wird auch noch eine Busse von rund 800 Franken fällig.
Gemäss der neuen Regel müssen die Spieler dann wohl für fünf Minuten auf die Strafbank, wären danach aber wieder spielberechtigt – und hätten keine pekuniären Konsequenzen zu befürchten.
Schiedsrichter-Boss Reto Bertolotti will von einer solchen Verluderung der Sitten nichts wissen: «Die Prügeleien sind Bestandteil der Kultur in Nordamerika. Bei uns in Europa hat der Faustkampf im Eisstadion keine Tradition, ich bin ein Gegner von Gewalt.»
In Nordamerika zielen die Goons vor allem darauf ab, die eigenen Starspieler vor unflätigen Attacken der Gegner zu schützen. Wayne Gretzky hatte während seiner Glanzzeiten in Edmonton mit Dave Semenko einen «Polizisten» zur Seite, der ihm mit schlagkräftigen Argumenten Geleitschutz bot: Wer sich an Gretzky vergriff, musste die Rechnung bei Semenko begleichen.
«Das ist richtig so», sagt Bertolotti. «Aber diese Tradition gibt es bei uns nicht. In Nordamerika wachsen die Spieler mit diesen Grundlagen auf. Wenn erfahrene Prügler aus Nordamerika bei uns die Fäuste sprechen lassen, treffen sie vielleicht auf einen unerfahrenen jungen Schweizer – und das könnte bös ausgehen.»
Publikumsattraktion
Ein weiterer Faktor sind die Zuschauer. Nordamerika hat ein diszipliniertes Fachpublikum. In der Schweiz könnten Faustkämpfe die angeheizte Stimmung zusätzlich befeuern. «Wir haben schon genug Probleme mit Ausschreitungen», sagt Bertolotti.
Chris McSorley, Chef des NLA-Klubs Servette, war früher selbst ein Goon, sein Bruder Marty gar einer der berüchtigtsten Prügler der NHL. McSorley ist nicht begeistert von diesem Vorschlag: «Ich habe in meiner Karriere über 250 Kämpfe bestritten, ein Spass ist das nicht. Jeder, der das in der Schweiz erlauben will, sollte erst selbst einmal einen Boxkampf auf Schlittschuhen austragen müssen, dann würde er seine Meinung wohl revidieren.»
Das letzte Wort haben die Klubs. Stimmen sie mit ja, fliegen auch bei uns bald die Fetzen.