Von Wunderwuzzis und echten Wuzzerln
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Alexander Tomanek -
6. September 2012 um 08:16 -
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Mit Entsetzen verfolgte auch ich die olympischen Spiele in London. Vielleicht sollte ich das Wort Entsetzen präzisieren: Nicht die Spiele selbst verfolgte ich mit Entsetzen, denn es passierte ja irgendwie eh dasselbe wie alle vier Jahre. Ich habe mir Sportarten reingezogen, die eigentlich recht cool sind, es jedoch sonst nie bis über meine Wahrnehmungsschwelle schaffen. Im Falle von Olympia gibt es jedoch kein Entrinnen, da einerseits noch keine Hockeysaison ist und andererseits das Alternativprogramm meiner Frau (Grey's Anatomy und Private Practice) nach der EURO nun schon die zweite unverschämte Übertragungspause innerhalb eines Sommers einlegte.
Das wirkliche Entsetzen lösten bei mir aber vielmehr die nachfolgenden Interviews und Stellungnahmen aller Betroffenen/Beteiligten aus. Zum Einen finde ich es eher unüberschaubar, wie viele Verbände und Personen grundsätzlich für eine einzige Sportart verantwortlich zu sein scheinen, zum anderen kann ich mich der nun einhelligen Meinung nach einer besser dotierten Spitzensportförderung so gar nicht anschließen.
Was das Ganze in einem Eishockey-Blog zu suchen hat?
Nun ja. Eishockey hat dasselbe Problem wie alle anderen Sportarten (mit Ausnahme einiger weniger etablierten Wintersportarten wie Schi-Alpin oder Schispringen). Es mangelt nicht an der Förderung der Spitzensportler. Es fehlen vielmehr die Spitzensportler an sich. Aber wie kreiere ich einen erfolgreichen Eishockeyspieler (oder Schwimmer oder Fechter)? Mein Ansatz beginnt bei der breiten Masse. Und zwar bei den Kindern.
Tägliche Sportstunde:
Wir brauchen die verpflichtende tägliche Stunde Sport in den Schulen. Wenn es mal zwei Stunden werden sollten, ist auch nichts verhaut. Dass dies bis heute noch nicht umgesetzt wurde, naja, s’peinlich (© Phil Lukas) und vor allem eine Vernachlässigung aller Kinder. Und da diese Kinder alle mal erwachsene Menschen werden, ist es eine Vernachlässigung aller Bürger. Wenn ich nun in den Medien höre, dass es dafür im Herbst eine Unterschriftenaktion geben soll, dann steht für mich bereits jetzt fest, dass nachfolgend für einen längeren Zeitraum genau gar nix passiert und irgendwann die Sache wieder im Sand verlaufen wird. So lange aber Nebenfächer wie Chemie, Physik, Biologie, Religion, usw oder aber auch Hauptfächer wie Mathematik (hat jemand – außer in dem einen oder anderen technischen Beruf - schon mal Lehrstoff aus der Oberstufe eines Gymnasiums anwenden müssen) zwei, drei oder sogar mehr Stunden pro Woche vereinnahmen, ist dies ein Kampf gegen Windmühlen.
Aus der Masse entsteht die Klasse:
Ob in Brasilien die Fußballer, in Kanada die Eishockeyspieler, in den USA die Basketballer oder eben bei uns die Schifahrer. Warum sind die aufgezählten Länder in genau diesen Sportarten seit mehr als einem halben Jahrhundert kontinuierlich die Weltbesten? Weil es sich um eine Kultsportart im jeweiligen Land handelt. Daher versuchen schon viele Kinder sehr zeitig ihre Vorbilder nachzuahmen. Und aus diesem ständigen Konkurrenzkampf der Masse bleiben zwangsläufig Runde für Runde immer wieder die Besten übrig bzw arbeiten sich an die Spitze
Mobilisierung der Masse:
Wie kann ich die Masse für eine Sportart gewinnen? Ich muss ihr die Möglichkeiten geben, diese auszuüben – und wenn möglich zu einem Preis, den sich die Eltern leisten können. Soll heißen: Ein Schwimmer benötigt ein gutes Schwimmbecken, ein Turner einen Turnsaal und ein Eishockeyspieler eine Eisfläche. Das wären mal die Basics.
Wenn ich mich an unsere Trainingslager in Kindheitszeiten (1980er Jahre) in der Tschechoslowakei erinnere, kommt mir zwar das Grausen, wenn ich an die ein oder andere Mahlzeit denke, die ich damals runtergewürgt habe. Umgekehrt bewundere ich aber nach wie vor die Sportstätten, die den Jugendlichen dort zur Verfügung gestanden sind. Neben jeder Eishalle befand sich ein Schwimmbad und ein Fußball-/Leichtathletikplatz. Da wurde im Vorhinein geplant und durchdacht und erst danach (auf Staatskosten) eine Anlage errichtet, die verschiedenste Sportarten auf einmal beherbergen konnte. So musste man zwangsläufig eine Sportart finden, an der man Spaß hatte und umgekehrt konnten quasi alle Kinder alles versuchen und ihre Talente und Interessen herausfinden.
Als Vater einer kleinen Tochter besuche ich mehrmals die Woche diverse Spielplätze. Es ist wirklich toll, in welcher Dichte (zumindest in Wien), Bewegungsmöglichkeiten mit coolem technischen Know How für die Kids errichtet worden sind. Genau auf einem solchen „Besiedelungsplan“ aufbauend, sollten auch Sportstätten errichtet werden. Dafür sollte das zur Verfügung gestellte Geld ausgegeben werden. Denn dies wäre die beste Förderung, die man Österreich’s Sportlern geben könnte. Schaffen sie später einmal tatsächlich den Sprung zum Top-Star finden sich ohnehin Sponsoren bzw springt der Staat über den Umweg des HSZ in die Bresche. Da jetzt weiter Geld reinzubuttern, halte ich für keine dauerhafte Investition.
Es geht um all die Kids, die auf dem Weg zum Spitzensport viel zu früh verloren gehen bzw die gar nie bis zum Start kommen; die werden kein sportlicheres und damit gesünderes Leben führen, nur weil eine Kanutin, ein Judoka oder ein Tischtennisspieler ein besseres Trainingslager zur Vorbereitung auf die Olympischen Spielen finanziert bekommt. Um dauerhaft Erfolge in irgendeiner Sportart zu feiern, muss früher angesetzt werden und zwar, indem ich sämtlichen Kindern – auch den Wuzzerln (wienerisch für dicke Kinder) – die Chance gebe, alle möglichen Sportarten ausüben zu können. Nur aus dieser Masse kann in weiterer Folge ein systematischer Aufbau von Superstars erfolgen. Andernfalls bleibt uns nur die Hoffnung auf zufällige, fleißige und finanziell abgesicherte Einzelkämpfer zu warten.
Im nächsten Blog setzt Sascha Tomanek seine Gedanken mit Blick auf Wien fort.