Scouting in der NHL und Europa – von Mythen und Wahrheiten, Teil 2
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Bernd Freimüller -
14. Februar 2012 um 07:00 -
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Bernd Freimüller nimmt sich in seinem großen Blog über Scouting der Unterschiede zwischen amerikanischem und europäischem Scouting an. Lesen Sie hier den zweiten Teil seines grandiosen Blogs mit vielen Insidereinsichten.
Agieren oder Reagieren: Das proaktive Scouting
Natürlich können sich kaum Organisationen in Europa einen ähnlichen Stab wie ein NHL-Team leisten. Einige wenige Teams in Schweden oder Finnland leisten sich vollberufliche Scouts, die sowohl Junioren als auch eventuelle Verstärkungen für ihre Kampfmannschaft im In- und Ausland beobachten. Doch auch Geld schützt nicht vor unprofessionellem Verhalten: Die KHL-Teams stecken den Großteil ihres Budgets in ihre Spieler, Beobachtungen finden vor allem bei Turnieren statt, oft vertraut man blind dem Urteil der Agenten oder geht nach Statistiken vor. Urteil eines langjährigen NHL-Scouts, der über Monate mit einem KHL-Team verhandelte: „Vergiss es – unprofessionell und ohne Plan. Wollen viel Info um wenig Geld.“
Auch in der Schweiz verzichtet man trotz guter finanzieller Mittel auf fixangestelle Scouts. Wie in der DEL machen sich dort vor allem die sportlichen Leiter oder Manager ab und an auf die Reise zu Ligaspielen im Ausland, vor allem in der DEL gehören ein oder zwei AHL-Trips zur jährlichen Grundausstattung. Diese Reisekosten spielen überhaupt keine Rolle doch das Tagesgeschäft im Verein verlangt nach einer mehr oder minder regelmäßigen Anwesenheit, was natürlich umfassendes Scouting unmöglich macht. Grundsätzlich gilt: In der NHL gibt es proaktives Scouting, d. h. Informationen werden unabhängig von der aktuellen Notwendigkeit über Jahre akkumuliert, wenn ein Spieler auf dem Markt ist, kann der GM mit einem Knopfdruck Dutzende von Scouting Reports abrufen.
In Europa reagiert man eher auf Empfehlungen von Agenten und sonstigen Kontakten und vor allem bei angeblichen Schnäppchen gibt es doch Versuche, den Spieler wenigstens einmal live zu sehen. Bezeichnend dafür die Aussage eines DEL-Managers zu einem Scouting Trip nach Österreich: „Der Agent liegt mir schon so lange in den Ohren, jetzt muss ich mir den Spieler halt einmal ansehen. Bin aber jetzt schon skeptisch.“
In unserem Land sind die Mittel noch beschränker als im Ausland, einzig Salzburg leistet sich einen überschaubaren Stab von Scouts, vieles decken dort aber die diversen Coaches bei Turnieren ab. Bei allem Verständnis für beschränkte finanzielle und zeitliche Mittel: Zumindest die Ligen vor der Haustüre (DEL, Italien, Tschechien und die Slowakei) könnten ohne große Kosten leicht abgedeckt werden.
Zettelwerk oder Scoutingsystem?
Ein Spiel wird besucht, der Scout/GM/Manager macht sich Notizen über einige Spieler. Doch wohin dann damit?
Die NHL-Teams leisten sich computerisierte Scouting Systeme, in die alle Infos einfließen und noch Jahre später abrufbar sind. „RinkNet“ ist dabei das bekannteste System, 29 NHL Teams arbeiten ebenso damit wie unzählige College- und Juniorenteams sowie einige europäische Teams. Eine allgemeine Database mit 200.000 Spielern, Kadern und Spielplänen steht allen Teams zur Verfügung, die jeweiligen Berichte und Listen können natürlich nur von den jeweiligen Teammitgliedern gelesen werden. Die jeweiligen Bewertungskategorien werden von den Teams vorgegeben und von Rinknet umgesetzt. Die Spieler werden in Worten und Zahlen bewertet, Kategorien wie „Eislaufen“, „Stocktechnik“, „Kampfgeist“, oder „Hockey Sense“ gehören zur Grundausstattung, detaillierte Scouting Reports können aber sogar bis zu 16 Kategorien erfassen. So kann etwa „Hockey Sense“ in die Defensive und Offensive aufgesplittet werden, das Eislaufen kann in Geschwindigkeit, Agilität und Antritt untergliedert werden. Alles eine Entscheidung des General Mangers bzw. des „Directors of Scouting“, die wichtigste Note (die Kategorien reichen oft von eins bis neun) bleibt für Amateur Scouts aber immer das NHL-Potential des jeweiligen Kandidaten.
Die Infos werden bei jeder „Synchronisation“ (=Verbindung zum Internet) aktualisiert, die Berichte und Listen werden so automatisch übermittelt. Wo früher Telefonate und Faxe herrschten und einiges „lost in translation“ war, hinterläßt heute jeder Scout eine Spur seiner ehemaligen Berichte. „Was liegt, das pickt“, noch Jahre später kann die Treffergenauigkeit jedes Mitarbeiters nachvollzogen werden.
RinkNet richtet sich bei der Bezahlung nach den Möglichkeiten des jeweiligen Interessenten, ein NHL-Team zahlt dabei natürlich um einiges mehr als eine kleine europäische Organisation. Selbst einen niedrigen vierstelligen Eurobetrag leisten sich aber nur wenige europäische Teams, Salzburg ist seit kurzem als einziges österreichisches Team ebenfalls ein Rinknet-Klient. Aber meist herrscht in Europa eher ein Zettelwerk, der Grundsatz „Das merk ich mir schon“ wird mit jedem besuchten Spiel zunehmend riskanter.
„Was spielt es heute im Fernsehen?“
Vielleicht ein Eishockeyspiel, aber kein Scout, der sein Geld wert ist, wird sich sein Urteil vom Bildschirm herunter machen. Einzige bei Torhütern ist bei Videomaterial vielleicht ein Urteil möglich, in der NHL ist grundsätzlich nur Live-Scouting angesagt. Thomas Vaneks Buffalo Sabres machten vor Jahren aus Kostengründen den Versucht, wenigstens einen Teil als Video-Scouting auszugliedern, das endete aber heuer unter dem neuen Besitzer Terry Pegula. Die NHL-Coaches sezieren zwar jeden Gegner über Stunden auf DVD, die Scouts begeben sich aber zur Bewertung der einzelnen Spieler stets live in die Hallen.
In Europa verläßt man sich schon eher auf Bildmaterial, das oft von Agenten zur Verfügung gestellt wird. Das Problem dabei: Ein Highlight-Video zeigen die jeweiligen Spieler nur von ihrer Zuckerseite. Bei TV-Spielen folgt die Kamera natürlich dem Puck, das Verhalten abseits davon kann nur schwer verfolgt werden, auch das Eislaufvermögen des Spielers ist so nicht leicht zu bewerten. Video-Scouting sollte daher nur sehr selektiv und als Ergänzung verwendet werden, besser als nur Statistiken zu wälzen ist es aber allemal.
Grundsätzlich steckt das Scouting in Europa noch in den Kinderschuhen, wenn nicht sogar im embryonalen Stadium. Unstrittig ist: Selbst die besten NHL-Scouts können nach langjähriger Beobachtung nicht die Zukunft vorhersagen. Ein Beispiel von vielen: Die Montreal Canadians zahlen Center Scott Gomez heuer 7, 5 Millionen USD – sein erster und einziger Saisontreffer fiel erst vor einer Woche! Der Umkehrschluss, Spieler nur auf der Basis von Statistiken, Empfehlungen und Videos zu verpflichten, ist aber ein Tanz auf der Rasierklinge. „Wissen ist Macht“ gilt etwa als Devise von Rick Dudley, seit über 30 Jahren in den verschiedensten Rollen in der NHL tätig und immer noch im Monat etwa 28 Tage unterwegs. Beobachten bzw. Scouten ist nicht gleich Wissen – aber es trägt wesentlich zum Erreichen dieses Ideals bei…