Scouting in der NHL und Europa: Von Mythen und Wahrheiten, Teil 1
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Bernd Freimüller -
13. Februar 2012 um 07:00 -
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"Scouting" – ein Wort, das im Bereich der EBEL meist nur im Fall des Misserfolgs ausgesprochen wird und dann meist von den Fans im heiligen Zorn über einige Transferflops („Die scouten ja nicht/schlecht“). Viele Mythen ranken sich um diese Berufssparte, vieles dabei bleibt für den Eishockeyfan nur Vermutung oder Hörensagen. Wie funktioniert eigentlich das Scouting in einem typischen NHL Verein und gibt es dabei überhaupt Parallelen zum europäischen Eishockey? Hier der Versuch eines Überblicks:
„Geld spielt keine Rolle“
Tut es nicht und tut es doch sehr - nur ein scheinbarer Widerspruch. Im Gegensatz zu den Spielergehältern gibt es nämlich für den „Front Office Staff“ eines NHL-Teams keine Salary Cap, erlaubt ist was gefällt. Daher kommt es im Umfang der Scouting-Abteilungen zu immensen Unterschieden, bedingt durch den Unterschied in den finanziellen Mitteln und der jeweiligen Philosophie. So stehen etwa am einen Ende des Spektrums die Toronto Maple Leafs, wo GM Brian Burke sein Füllhorn geöffnet hat und quasi ein All-Star-Team abseits des Eises gebildet hat. Er selbst umgibt sich mit drei ehemaligen NHL-GMs (Dave Nonis, Rick Dudley und Cliff Fletcher), unglaubliche 23 Leute sind unter „Scouting Staff“ angeführt. Verglichen dazu etwa die Carolina Hurricanes, wo GM Jimmy Rutherford sein Geld lieber in Free Agents investiert. So finden sich lediglich acht Scouts auf Carolinas Payroll, in Europa sind sie lediglich durch einige Besuche des in den USA lebenden Robert Kron vertreten.
„Profis und Amateure“
Ein Blick auf die einzelnen Scouting-Departments zeigt: Einerseits gibt es Pro(fessional) Scouts, andrerseits Amateur Scouts. Wo liegt da der Unterschied? Sind erstere zuverlässiger als zweitere? Sind die Amateur Scouts vielleicht die Lehrlinge im Betrieb?
Weit davon entfernt: Die Bezeichnungen „Pro“ und „Amateur“ beziehen sich nämlich nicht auf die Fähigkeiten der Scouts, sondern auf das von ihnen begutachtete Spielermaterial. Pro Scouts beobachten die NHL und AHL sowie teilweise Turniere und Ligaspiele in Europa. Amateur Scouts hingegen kümmern sich fast ausschließlich um Juniorenspieler, sie sind es auch, die die Entscheidungen am Drafttag fällen. Überscheidungspunkte gibt es kaum, auch die jeweiligen Meetings finden getrennt statt. Das Leben der Pro Scouts ist um einiges komfortabler, ihr Aufgabenbereich ist überschaubarer. So teilen sie sich die einzelnen NHL- und AHL-Teams nach regionalen Gesichtspunkten auf, ein an der Ostküste lebender Pro Scout etwa ist mit den dort unzähligen NHL- und AHL-Teams ausgelastet. Ebenfalls ein guter Wohnort wäre in der Gegend um Toronto und Buffalo, wer im Westen Teams wie LA, Anaheim oder Phoenix covert, braucht dagegen keine Wetterunbillen in Betracht zu ziehen. Die Reisepläne der Pro Scouts sind meist leicht aufzustellen, schließlich geht es ja vor allem um eine lückenlose Dokumentation aller Spieler, die auf einer NHL-Payroll stehen oder eventuell als Free Agents in Frage kommen. Kurzfristige Änderungen der Reisepläne kommen eigentlich nur vor, wenn ein Spieler aufgrund eines möglichen Trades nochmals unter die Lupe genommen werden soll.
Das Leben der Amateur Scouts ist dagegen etwas weniger planbar. Auch hier teilen sich die Scouts die Regionen untereinander auf. So leistet sich jedes Team etwa zumindest einen Scout für die WHL, OHL oder QMJHL, andere wiederum kümmern sich um die amerikanischen Colleges oder die USHL. In Europa leisten sich einige Teams wie Detroit oder Nashville in jeder größeren Eishockeynation (Russland, Finnland, Schweden, Tschechien/Slowakei) einen Scout. Bei anderen Teams herrscht dagegen Sparsamkeit, für LA etwa coverte in der letzten Saison mit Todd Woodcroft ein in Stockholm lebender Kanadier den ganzen Kontinent im Alleingang. Generell zogen die Teams aber in den letzten Jahren ihre Scouts aus Tschechien und der Slowakei aufgrund der desolaten Entwicklung in diesen Ländern ab, während ein schwedischer Scout heute fast schon Pflicht ist.
Eines haben sowohl die Pro- als auch Amateur Staffs gemeinsam: Sie unterteilen sich in Full-Time- und Part-Time-Scouts. Erstere sind klar in der Überzahl, sie sind während der Saison voll eingespannt und verdienen sich so ihren Lebensunterhalt. Im Gegensatz zu den Part-Timern, die neben ihrem regulären Job am Abend oder am Wochende zu Spielen gehen, sind die Full-Timer neun Monate pro Jahr auf Achse, 20 – 25 Spiele pro Monat, insgesamt etwa 200 pro Saison stellen für Vollberufler die Regel dar. Sämtliche Reisekosten beider Gruppen werden von den Teams bezahlt, dazu kommen noch Taggelder und ein auf 12 Monate aufgesplittetes Fixgehalt. Job Security gibt es kaum, meist werden Verträge über ein oder zwei Jahre abgeschlossen. Geradezu legendär der Fall eines in Ehren ergrauten Scouts, der am Ende seiner Karriere auf 25 Einjahres-Verträge zurückblickte. Das Gehalt ist von Berufserfahrung, Region und den finanziellen Möglichkeiten des jeweiligen Teams abhängig, im Gegensatz zu den Spielergehältern unterliegen diese jedoch strenger Geheimhaltung.
Grundsätzlich ist das Leben der Pro Scouts etwa angehmer, schließlich können sie langfristiger planen und sehen in schönen und warmen Arenen die besten Cracks der Welt. Amateur Scouts müssen dagegen flexibler sein, schließlich haben sie zur Beobachtung der Spieler für die Draft nur ein Jahr Zeit. Ab etwa November verlassen sie ihre Heimatregionen, das „Cross-Over“-Scouting beginnt, ein OHL-Scout etwa begutachtet die Spitzencracks in der WHL und umgekehrt. Bei Verletzungen von Spielern herrscht vor allem in der Endphase der Saison oft hektische Aktivität, niemand will sich die Blöße geben und zugestehen müssen, einen Spieler zu wenig oft oder gar nicht begutachtet zu haben. Vor allem bei High School-Games oder unterklassigen Juniorenspielen in Kanada oder Europe bibbert so mancher Scout in einer eiskalten Halle vor sich hin, das jämmerliche Niveau einiger Spiele trägt auch nicht gerade zur guten Laune bei. Einen Vorteil haben die Amateur Scouts aber: Während für die Pro Scouts bei Spielen Krawattenpflicht herrscht, können sie es kleidungsmäßig weit legerer angehen, so mancher Amateur Scout kommt daher wie ein vagabundierender Radfahrer daher.
„Ein Diener vieler Herren?“
Für wieviele Teams arbeitet der durchschnittliche Scout? Ganz einfach: Für eines. Auf der Payroll eines NHL-Teams zu stehen heißt exklusive Arbeit abzuliefern. Zwar gab es vor Jahren noch Freelancer, die mit Scouting Agenturen mehrere Teams mit ihren Berichten belieferten, das fiel aber der zunehmden Professionalisierung zum Opfer. Ein Scout stellt seine Arbeitskraft nur seinem Arbeitgeber zur Verfügung, seine Berichte und Listen sehen nur seine Vorgesetzten. Die Interaktion mit Scouts anderer Teams beschränkt sich lediglich auf Smalltalk und Tagesprobleme im Business, jegliches Durchsickern von internen Informationen gilt als höchst unprofessionell und Grund zur Entlassung. Klatsch und Tratsch gibt es aber wie in jedem anderen Beruf…
Scouts und Agenten – eh das gleiche, oder?
Gerade in Europa herrscht selbst in Eishockeykreisen oft Konfusion über die Trennungslinien zwischen diesen beiden Berufsgruppen. Nicht nur einmal wurde ich von einem Vereinsverteter gefragt: „Hast du nicht einen Spieler für uns?“ Meine Standardantwort: „Ich bin Scout, kein Agent.“ Der Unterschied sollte aber einleuchtend sein: Agenten vertreten Spieler und wollen diese bei Vereinen unterbringen. Logischerweise zeichnen sie ihre Cracks nur in einem guten Licht, die Schwächen ihrer Spielern mögen die Vereine dann nach der Vertragsunterzeichnung selbst herausfinden. Ihre Einkünfte sind ein Prozentsatz der Vertragssumme ihrer Klienten, in Nordamerika vom Spieler, in Europa vom aufnehmenden Verein zu zahlen.
Scouts dagegen werden für ihre Expertisen (und genau darum handelt es sich bei ihren Berichten) von ihrem Team bezahlt. Auch hier gibt es einen weitverbreiteten Mythos: „Du bekommst sicher schöne Prämien, wenn du einen Spieler in die NHL bringst.“ Nicht einmal einen Cent, und das auf gutem Grund: Scouts haben die Pflicht, die Stärken UND Schwächen der von ihnen beobachteten Cracks gnadenlos darzulegen. Amateur Scouts auf der ganzen Welt stehen immer vor derselben Frage: „Wird es der Spieler eines Tages in die NHL schaffen?“ Ein „Nein“ hat dabei den gleichen Wert wie ein „Ja“, eine (theoretisch) leere Jahresabschlussliste für die Draft wäre ebenso akzeptabel wie eine Liste mit hundert Namen. Wie alle Menschen sind natürlich auch Scouts verschieden, die einen sehen Spieler eher positiv, die anderen konzentrieren sich auf eventuelle Schwachstellen. Bei Erfolgsprämien für eventuelle Cracks würde sich diese Betrachtung wandeln, der Kampf, Namen auf die Draftliste der jeweiligen Organisation zu bringen um so die Chancen auf einen Bonus zu erhöhen, würde eine objektiven Betrachtungsweise ersetzen.
Soweit einige Betrachtungen zum Scouting in der NHL - wo bestehen dabei die Parallelen oder Unterschiede zum Europa? Dieser Frage geht Bernd Freimüller in Teil 2 seines Blogs zum Vergleich der Scoutingsysteme hier auf eishockeyexperten.at nach.