Andrei Zyuzin: Curb your enthusiasm
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Bernd Freimüller -
27. Januar 2012 um 10:05 -
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Die Suche in Klagenfurt nach einem neuen Verteidiger zog sich über Wochen, jetzt ist er da: Mit Andrei Zyuzin konnte KAC-Coach und Sportdirektor Manny Viveiros einen Defender mit einer interessanten Vita an Land ziehen. Anhand alter und brandaktueller Scouting Reports läßt sich die wechselvolle Karriere des 34jährigen gut nachvollziehen:
1996 (Einschätzung eines Scouts vor der Draft): „Guter Eisläufer und Puckhandler, hat einen Bombenschuss. Gutes Zwei-Weg-Spiel, etwas besser offensiv als defensiv. Solide Größe und Kraft, ok im Zweikampf. Ein großes Talent und ein Blue-Chipper.“
2003 (Scouting Report aus New Jersey): „Guter Speed, liest das Spiel auch gut. Macht Offensivrushes sehr klug vom Spielstand abhängig. Harter Schuss, kann das Powerplay aufziehen. Nicht sehr physisch, aber Energielevel ist ok. War letzte Saison aber ein High-Risk Desaster. “
2011 (Stimme eines NHL-Scouts aus St. Petersburg): „Nicht sehr aufregend. Guter Eisläufer, ok Hände, aber wenig Offensivbeiträge. Nicht sehr hart. War nur Durchschnittsspieler hier. Scheint sich etwas zu überschätzen.“
2012: (Ein Beobachter aus Biel): „Er war ok, aber nicht mehr. Sein Probevertrag wurde um ein Jahr verlängert, jetzt aber nicht mehr. Spielte sehr konservativ, schaltete sich überhaupt nicht in die Offensive ein. Liest Spiel gut, spielt einigermaßen hart auf den Mann. Beliebt in der Mannschaft, keine Probleme, hat auch Status als überzähligen Ausländer ohne Klagen akzeptiert. Die Erwartungen an ihn waren aber zu hoch, vor allem im Offensivspiel.“
Der letzte Satz wird wohl auch Zyuzins Wirken in Klagenfurt bestimmen: Wer von ihm die Rolle eines soliden, für 20 Minuten Eiszeit guten Verteidigers erwartet, wird sich mit ihm anfreunden können. Wer hingegen – durch seine NHL-Karriere und sein als Junior gezeigtes Potential bedingt – Wunderdinge vom 34jährigen Zyuzin erwartet, kann wohl nur enttäuscht werden.
Zyuzins Status als No 2 in der Draft 1996 relativierte sich ohnehin mit dem Bonus des Zurückblickens. Die Top 5 gliederten sich nämlich neben Zyuzin in den soliden aber unaufregenden Verteidiger Chris Phillips (No 1), den schnellen und zum Tor gehenden Zweitlinienspieler J. P. Dumont (No 3), Superflop Alexandre Volchkov (No 4, ganze drei NHL-Spiele) und den mit großen Off-Ice-Problemen behafteten Ex-Salzburger Richard Jackman (No 5) auf. Drei durchschnittliche NHLer und zwei Flops, dieses Quintett stellte damit die schlechteste Top-5-Ausbeute aller NHL-Drafts dar. Überhaupt war dieser Jahrgang einer zum Vergessen, auch wenn noch Spieler wie Danny Briere (No 24), Zdeno Chara (No 56) und Tomas Kaberle (No 204) an diesem Junitag in St. Louis gedraftet wurden.
Die San Jose Sharks erwarteten sich sicher mehr von Zyuzin als dieser abliefern konnte, vor allem sein ihm im Juniorenalter zugestandenes Offensivpotential konnte der in Ufa geborene Russe nie so recht entwickeln. Und Zyuzins Karriere bei den Sharks ging 1999 auch mit einem Paukenschlag zu Ende. Er erschien einfach nicht zu einem Teamflug und war danach 26 Tage abgängig, während dieser Zeit schaltete sich sogar das FBI wegen angeblicher Mafia-Beziehungen ein. Als Zyuzin wieder auftauchte, gab er ein zerrüttetes Verhältnis mit Coach Darryl Sutter als Grund für sein Verschwinden an. Die Sharks tradeten ihn im Sommer darauf nach Tampa Bay, von dort ging es weiter nach New Jersey, Minnesota, kurz zurück in die KHL und dann nach Calgary und Chicago, bevor er die NHL im Jahre 2008 für einen fetten KHL-Kontrakt in St. Petersburg verließ. Der Ruf als Draft-Flop wird Zyuzin aufgrund von 496 NHL-Spielen nicht ganz gerecht, dass er die Erwartungen, die man an einen an zweiter Stelle gedrafteten Spieler gestellt hatte, nie erfüllen konnte, ist aber ebenfalls unbestritten. Doch sowohl sein Juniorenpotential als auch seine NHL-Karriere liegen schon so weit zurück, dass sie ebenso in Sanskrit beschrieben werden könnten. Wie gestalteten sich vielmehr die letzten Monate für Zyuzin und wie ist sein derzeitiger Leistungsstand?
Im Sommer 2011 zeigte noch San Jose loses Interesse, ein Angebot weiter unter der Ein-Million-Dollar-Grenze konnte Zyuzin aber nicht mehr locken. Allerdings stand er dann ohne Verein da, erst Anfang November verpflichtete ihn Biel als Ersatz für den verletzten Tom Preissing. Nach 13 Spielen und lediglich zwei Assists war dann aber Schluss, für die Playoffs oder Playdowns sieht der Achte der Nationalliga A jedenfalls anderweitig um.
Zyuzin präsentierte sich in der Schweiz als routinierter, defensiv solider Verteidiger ohne offensive Glanzlichter. Seine einstmals ausgezeichneten Füße sind auch mit altersbedingten Abstrichen immer noch sein Kapital, was angesichts von läuferisch limitierten Nebenleuten wie Herbert Ratz oder dem völlig immobilen Mike Siklenka auch dringend notwendig wäre. Allerdings war Zyuzin selbst in seiner Glanzzeit nie ein Defender mit der Gabe, die blaue Linie im Powerplay lateral zu beherrschen („walking the line“ heißt das im Scouting-Englisch), sodass sein Bombenschuss schon in der NHL relativ leicht im Keime zu ersticken war. Dieser dürfte überhaupt bei einem seiner vielen Umzüge verloren gegangen sein, weder in St. Petersburg noch bei Biel war davon noch viel zu sehen.
Zyuzins Abschlusszeugnis in Klagenfurt könnte von seinen Beiträgen im Powerplay abhängen. Weder Furey noch Siklenka überzeugten heuer als Pointmen im auf Puckkontrolle und Cyclen ausgerichteten System von Manny Viveiros. Joey Tenute erwies sich aber in letzter Zeit als guter Halfboard-Spieler an der rechten Seitenbande, Zyuzin könnte vielleicht als Linksschütze in einem 1-3-1- oder Umbrella-System Druck von Furey wegnehmen. Ob er dessen Rolle als Zentralfigur an der blauen Linie zumindest zeitweise abdecken kann, ist dagegen eher fraglich, allerdings half die Rückkehr von Martin Schumnig dem Klagenfurter Powerplay bereits erheblich weiter.
Bei 5-5 sollte der Russe Furey jedoch sicher entlasten könne, die Zeiten, als der Kanadier weit über 30 Minuten auf der Platte stand, sollten damit vorbei sein. Mit sieben Verteidigern (so endlich einmal alle gesund sind) hat Manny Viveiros eine reiche Auswahl, sodass er etwa Mike Siklenka in kritischen Situationen (Überzahl, Unterzahl und Gleichstand) doch etwas leichter verstecken kann.
Zyuzin ist alles andere als ein dummer Spieler, er sollte sich daher an die hier herrschende Regelauslegung schnell anpassen können. Krachende Checks würden eher überraschen, solides Positionsspiel dagegen nicht, er sollte sowohl gegen Tempoteams wie Linz als auch physischen Mannschaften wie Zagreb seine Stärken einbringen können. Zyuzin spielt allerdings, wie der aufmerksame NHL-Scout Thomas Roost beobachtete, mit einem sehr kurzen Stock, was seine Poke-Checking-Fähigkeiten einigermaßen einschränkt. Einen sicheren und schnellen ersten Pass, heute das Um und Auf für einen Verteidiger, sollte Zyuzin jedenfalls hinbringen. Als vokaler Leader im der Kabine ist der Russe nicht bekannt, als durchaus zugänglicher Zeitgenosse aber schon. Er tritt schon längst wie ein Nordamerikaner auf, seine Familie etwa bleib auch in den letzten Jahren in den USA wohnen.
Durchaus möglich, dass die bekannt kritischen Klagenfurter Medien und Fans nach den ersten Spielen über Zyuzin sagen werden: „Der fällt ja gar nicht auf.“ Das würde auf den ihm in Biel attestierten (zu) konservativem Spielstil hindeuten, muss aber angesichts der Erfordernisse beim KAC nicht unbedingt ein Nachteil sein. Klar ist, dass Zyuzins Karriere in die Zielgerade eingeht, wieviel Benzin er noch im Tank hat bleibt abzuwarten. 13 Spiele heuer sind auch nicht gerade die Welt, allerdings steht er seit November im vollen Trainingsbetrieb.
„Curb your enthusiasm“ also als Erwartungshaltung – der Status als EBEL-Spieler mit den meisten NHL-Einsätzen sollte für Zyuzin nur eine Anmerkung für TV-Kommentatoren sein, umgekehrt kann ein Vollflop wie bei etwa Jordan Morrison ebenfalls ausgeschlossen werden.