Willst du mein Herzblatt sein?
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Bernd Freimüller -
3. Januar 2012 um 10:55 -
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„Line Matching“, das versuchte Synchronisieren der eigenen auf die Linien des Gegners - in Nordamerika und vor allem natürlich in der NHL so gang und gäbe wie Scouting oder Videostudien, in Europa allerdings nicht ganz so. So rollen etwa in der tschechischen Extraliga oder in der KHL die Coaches einfach ihre Linien herunter. Was das Gegenüber macht, bleibt größtenteils unbeachtet, die Topspieler treffern dadurch genauso meist aufeinander wie die vierten Linien.
Wohin tendiert in dieser Beziehung eigentlich die EBEL? In der Mitte Europas gelegen, aber unter stark nordamerikanischem Einfluss (sieben der elf Coaches und der Löwenteil der Legionäre stammen aus Übersee) – wie wirkt sich diese Mischung zwei Eishockey-Philosophien hier aus? Sehen die EBEL-Trainer das „Line Matching“ als wichtiges taktisches Werkzeug oder ignorieren sie, wen der Gegner aufs Eis schickt?
„In Nordamerika matchen etwa 90 % der Coaches ihre Linien, hier vielleicht 40 %“, fasst etwa Zagrebs Marty Raymond, der auf jahrelange ECHL-Erfahrung zurückblicken kann, den Unterschied in prägnanten Zahlen zusammen. Er selbst legt größten Wert darauf: „Vor allem gegen die Toplinie des Gegners habe ich gerne eine Defensivlinie auf dem Eis.“ Zanoski, Kostovic und die Center Brine oder Naglich sind die „Abmontierer“ der Zagreber. Noch wichtiger ist für Raymond aber das Defensivduo auf dem Eis, Letang und Waugh sind für ihn ebenso die Defensivabsicherung wie etwa für KAC-Coach Manny Viveiros sein Defensivstratege Kirk Furey. Der steht aber ohnehin oft fast 30 Minuten auf dem Eis und sieht sich dabei mit den verschiedensten Gegenspielern konfrontiert. Nicht nur deswegen geht Viveiros das Thema Line Matching etwas gelassener an: „Ab und zu ja, aber nicht wenn es den Spielfluss unterbricht.“ Natürlich möchte er bei wichtigen Bullys und in entscheidenden Situationen einen Spezialisten wie Thomas Koch auf dem Eis haben, aber bei Vollbestand der Kräfte hat er folgende Maxime: „Alle meine Linien sollten defensiv so stark sein, dass sie Checking Lines sind.“
So sieht den KAC-Kader auch Graz-Trainer Mario Richer: „Gegen ein Team wie dem KAC macht es wenig Sinn, sich auf eine Linie zu konzentrieren.“ So trat er beim 5:3-Neujahrssieg über die Klagenfurter auch nur mit neun Stürmern gegen 13 des KAC an, eventuelle Line Pairings blieben da bald auf der Strecke.
Nicht nur die eigene Philosophie, auch die des Gegners kann ein eventuell angedachtes Line Matching schnell zunichte machen. So bemerkt etwa Linz-Erfolgscoach Rob Daum: „Bei den Capitals steht die Gratton-Linie manchmal bei jedem zweiten oder dritten Shift auf dem Eis.“ Da zu matchen, würde seine eigenen Pläne zerstören: „Ich möchte, wenn es geht, keine Linie verlieren.“ Er macht seine Einstellung zum Line Matching vor allem vom jeweiligen Kader abhängig: „Auch wenn das in Nordamerika viel verbreiteter ist als hier, habe ich es immer von den Qualitäten meiner Spieler abhängig gemacht.“ Natürlich verteilt auch er die Eiszeit nicht völlig paritätisch, doch scheut er auch nicht davor zurück, wie zuletzt etwa beim Stefanispiel in Klagenfurt, seine vierte Sturmlinie in den Schlusssekunden eines Drittels aufs Eis zu schicken. Bei den Verteidigungslinien geht er etwas behutsamer vor. Zwar verfügt er im Gegensatz zu allen Teams außer Salzburg auch über ein regelmäßig eingesetztes viertes Paar mit Daniel Mitterdorfer und Fabian Scholz. In entscheidenen Phasen vertraut er logischerweise eher dem Rest seines Defensivkorps – Übermut tut wohl auch angesichts einer Erfolgsserie wie zuletzt nicht gut.
Zu den überzeugteren Line Matchern gehören neben Raymond eher Salzburg unter Pierre Page oder mitunter auch Kevin Primeau mit Fehervar, aber auch diese überziehen hier nicht. Überhaupt versuchen sich die meisten Coaches eher kleinere Vorteile zu verschaffen. So schickt etwa Viveiros seine Koch-Linie auf das Eis, sollte etwa eine schwächere Linie des Gegners ein Icing begehen und so auf dem Eis festgenagelt seien. Raymond wiederum lotet gerne die Tendenz des Gegners zu Spielbeginn aus: „Wir versuchen einmal, die Scheibe tief zu bringen um gleich zu wechseln, dann warten wir ab, was der Gegner macht.“ Bei Heimspielen hat er ohnehin das Heft des Handelns in der Hand, allerdings gerät er auch in Zagreb ab und an mit den Refs in Streit: „Manchmal geben sie mir nicht einmal die erlaubten fünf Sekunden Zeit zum Wechsel und wundern sich dann, wenn ich in Rage gerate.“ Gerne greift er auch zum Double Shifting, d. h. er unterbricht die sonstige Rotation für kurze Zeit und schickt eine Linie verstärkt aus Eis, um so eine Reaktion des Gegners herauszufordern.
Icings und das dem Heimteam vorbehaltene Recht zum letzten Wechsel sind Details, die zum gewollten Matchup beitragen können. Einen weiteren Faktor sieht Mario Richer sogar darin, wieviele Kameras bei einem Spiel zugegen sind: „Nach den Powerbreaks bei Servus-Spielen siehst du beim Gegner fast immer die Toplinie auf dem Eis.“ Allerdings unterscheidet sich hier die EBEL noch gewichtig von der NHL, wo drei zweiminütige TV-Breaks pro Drittel (!) seit Jahren schon den Stars zusätzliche Eiszeit einbringen und die eigentlichen Timeouts fast obsolet gemacht haben.
In einem anderen Punkt näherte sich die NHL aber zuletzt eher dem europäischen Eishockey an. Früher teilten sich die Sturmlinien wie folgt auf: Zwei Scoring Lines, eine Checking/Shut Down Line sowie eine euphemistisch bezeichnete „Energy Line“ aus einem oder zwei Enforcern (für den normalen Einsatz fast unbrauchbar) und vielleicht einem weiteren Hitter. Das gilt zwar in Grundzügen immer noch, doch die reinen Goons werden auch in der NHL immer weniger und machen Spielern Platz, die bei aller Physis auch mitspielen können. So verschiebt sich die Checking Line eher in die vierte Linie, die besseren Teams verfügen über etwa neun Stürmer mit guten Skills, was ein Line Matching des Gegners schwieriger macht als zuvor. Auf wen will man sich etwa gegen die Red Wings konzentrieren – Pavel Datsyuk oder Henrik Zetterberg? Vancouver? Die Sedin- oder die Kesler-Linie? Viel Spaß bei der Entscheidung!
Trotzdem setzen die meisten Coaches in Nordamerika weiter auf ein versuchtes Neutralisieren der Toplinie(n) des Gegners im Sinne des einstigen Superhirns Scotty Bowman, während man in der EBEL eher Feuer mit Feuer bekämpft. So schaut etwa Rob Daum eher wenig darauf, gegen wen sein Superblock mit Veideman-Murphy-Baumgartner-Oullette-Leahy auf dem Eis steht: „Diese Fünf können sich meist gegen jeden Block des Gegerns durchsetzen“. Mario Richer macht generell so gut wie keine Checking Linien in unserer Liga aus, sieht eher große Qualitätsunterschiede zwischen den einzigen Kadern: „Die Geier-Line beim KAC ist dort vielleicht die vierte, bei uns wäre sie die zweite Linie.“
Grundsätzlich ist in der EBEL bei den meisten Teams der (europäische) Trend festzustellen, eher Spieler mit Scoring Potential denn Stürmer mit Shut-Down-Qualitäten zu verpflichten. Zagreb stemmt sich da mit Spielern wie Zanoski, Brine oder dem jetzt verletzten Morency gegen den Trend, was sich mit Raymonds Philosophie natürlich deckt: „Wir können ohne Matchups nicht überleben.“ Er nimmt sogar fliegende Wechsel wahr, um sein gewünschten Paarungen auf dem Eis zu bekommen, setzt dabei auch auf die Eigenverantwortung seiner Spieler: „Ich brauche ihnen auf der Bank nicht zu sagen, wer ihr Gegenspieler sein sollten.“
Mit Ausnahmen spielt das Line Matching in der EBEL also eine weit weniger wichtige Rolle als in Nordamerika, gematcht wird eher die Anzahl denn die vermeintliche Defensivqualität der Linien. Teams wie Ljubljana oder Graz, die zwischen drei und vier Linien wechseln, machen diese Anzahl oft vom Gegner abhängig, was auch für Zagreb gilt. Das Ganze aber in Maßen: „Wenn ein Gegner wie Wien die Gratton-Linie übermäßig forciert, setze ich eher darauf, dass die sich totspielt“, so Raymond, der die Zagreb-Vereinsbosse erst von der Notwendigkeit von Defensivspielern im Lineup überzeugen musste.
Wenn es um das Line Matching geht, orientiert sich die EBEL also noch eher an europäische denn an nordamerikanische Gegebenheiten, selbst direkt aus Nordamerika gekommene Coaches passen sich eher den hiesigen Gegebenheiten an. Es bleibt aber abzuwarten, ob in den Playoffs hier die Trickkiste nicht doch einen Spalt weiter geöffnet wird...
Foto: sxc.hu