Neue Regeln braucht das Land?
-
Bernd Freimüller -
25. Dezember 2011 um 18:01 -
2.606 Mal gelesen -
0 Kommentare
Die EBEL in Person ihres “Directors of Hockey Operations”, Lyle Seitz, präsentierte ihren Vereinen ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk: Ein 14seitiges Manifest mit Regelerläuterungen, -ergänzungen und auch gegen das IIHF-Regelbuch gerichteten neuen Richtlinien. Dem Ganzen ging ein einwöchiges Tauziehen zwischen Seitz und dem Schiedsrichterkollegium zuvor, wodurch dieses Konvolut erst knapp vor Wiederaufnahme der Meisterschaft (inklusive einer sehr mangelhaften deutschen Übersetzung) an die Vereine und Schiedsrichter ging. Seitz, de facto-Schiedsrichterboss als auch als Leiter des Spielbetriebes für den Unterhaltungswert der Liga zuständig, bediente sich dabei vor allem am NHL-Regelbuch. Während einige Kapitel lediglich Kleinigkeiten darstellen (wo sollen die Heads sich beim Penalty-Shot aufhalten?), beinhalten einige Punkte doch eine gewisse Sprengkraft.
Das Auf und Ab der hohen Stöcke
Hoher Stock mit Verletzungsfolge kann jetzt wieder mit 2+2 Minuten bestraft werden. Das war zwar schon immer im Regelbuch festgehalten, bei uns (im Gegensatz zu anderen Ländern und zur NHL) resultierte das jedoch zuletzt ausschließlich in 5+Spieldauerdisziplinarstrafen. So kamen Spieler, die etwa von hinten gestoßen worden, deren Stock dadurch unabsichtlich hochging und eine Verletzung herbeiführte, zum Handkuss. Die 5+Spieldauer ließ Seitz ganz aus dem Regelwerk entfernen, bei Verletzungen mit dem hohen Stock müssen die Refs nun zwischen den 2+2 Minuten (unabsichtliche oder fahrlässige Attacke) und einer Matchstrafe (bei Verletzungsabsicht) unterscheiden.
Fazit: Eine gute Korrektur, allerdings kommen die Schiris durch die völlige Entfernung der 5+Spieldauer (gegen das IIHF-Regelbuch) nun unter Zugzwang. Zu befürchten ist, dass die Stöcke öfters am Hallendach kratzen werden, solange Verletzungen wie zu erwarten durchgehend nur mit 4 Minuten bestraft werden.
My crease is my castle?
Beim immer wieder leidigen Thema des Torraumabseits und der damit verbundenen Goaliebehinderung lehnt sich die EBEL nun an die NHL-Regeln an. Tore sollen nur mehr aberkannt werden, wenn der Torhüter bei seiner Abwehrbewegung behindert wird. Beim bloßen Eindringen vor der Scheibe in den Torraum ist ein Treffer nicht mehr abzuerkennen, selbst wenn der Puck danach abgelenkt wird. In diesem Zusammenhang wird der Videobeweis bei Torraumabseits bzw. Torhüterbehinderung (von der DEL übernommen, im IIHF- und NHL-Regelwerk nicht vorgesehen) abgeschafft, die Entscheidung muss in Realzeit erfolgen.
Fazit: Die in diesem Punkt schwammigen IIHF-Regeln werden nun durch die „No harm, no foul“-Politik der NHL ersetzt, die Refs müssen nun noch mehr ihre Augen auf das Geschehen im und um den Torraum richten. Leichter wird die Sache dadurch weder für die Goalies noch für die Schiedsrichter, allerdings war der Videobeweis in diesem Falle ohnehin meist nur ein Vorwand, irgendeinen Grund für die Aberkennung eines Tores zu finden.
Die EBEL als Trendsetter?
Zwar erst ab der Zwischenrunde möglich, aber trotzdem revolutionär: Als erste Liga der Welt führt die EBEL die Möglichkeit ein, dass auch Teams einen Videobeweis anfordern dürfen. Allerdings: Nur bei Tor- oder Nichttor und das anhand der IIHF-Kritierien (Puck über der Line oder nicht?/Tor vor dem Treffer verschoben/Tor mit dem hohen Stock erzielt/Tor absichtlich mit der Hand oder dem Fuss erzielt/Scheibe von einem Referee ins Tor gesprungen). Die Überprüfung des Zeitpunktes eines erzielten Tores fällt mangels technischer Hilfsmittel meist weg.
Fazit: Angelehnt an andere nordamerikanische Sportarten (nicht der NHL!) agiert die EBEL hier als Trendsetter. Es werden aber bereits jetzt Wetten angenommen, welcher Coach der Erste sein wird, der den Videobeweis bei Torraumabseits oder Fouls anfordern will.
Die Angst des Tormanns vor dem Torverschieben
Wie beim Videobeweis zum Torraumabseits wurde nun auch ein weiteres von Österreich übernommenes DEB-Rundschreiben außer Kraft gesetzt: Das unabsichtliche Verschieben des Tores durch einen Goalie bei einem Penalty-Shot führt nun nicht mehr automatisch zu einem zuerkannten Tor. Headreferee Georg Veit, der diese Anordnungen beim Spiel Zagreb – Linz (zu) stringent anwandte, blieb damit der erste und einzige Schiri, der dieses in der Öffentlichkeit nie publizierte Rundschreiben in die Tat umsetzte. Wie Linz-Coach Daum richtig anmerkte: „Und das in einer Liga, wo der Pfosten schon rausspringt, wenn man ihn nur anbläst.“
Fazit: Regeln, die nicht angewandt werden, sind nicht das Papier wert, auf dem sie stehen, die EBEL passt sich hier wieder dem IIHF- und NHL-Regelbuch an.
Die EBEL als „Goon-Liga“?
Wohl der größte Diskussionsstoff: „Harmlose“ Faustkämpfe (beide Spieler sind willig, Start und Ende erfolgen gleichzeitig, keine Einmischung von Dritten, danach ohne Umweg auf die Strafbank) sollen von nun an mit 5 Minuten bestraft werden, danach geht’s für die Spieler weiter. Einerseits revolutionär (das IIHF-Regelbuch kennt keine „alleinstehenden“ 5-Minutenstrafen), andrerseits nur eine kleine Änderung, da seit Beginn der Saison (wenn auch inoffiziell) solche Schlägereien mit 2+2 Minuten bestraft wurden.
Um die EBEL nicht zur „Goon-Liga“ verkommen zu lassen, machte Seitz klar, dass diese Ausnahmeregelung wirklich nur für „normale“ Faustkämpfe steht. Zwar mit Neologismen belegt, aber sonst wortwörtlich vom NHL-Regelbuch übernommen, sollen vor allem „Inciter“ (NHL: „Instigator“, zu deutsch: „Anstifter“) und „Avenger“ (NHL: „Aggressor“) von den Schiris erkannt und dementsprechend bestraft werden. Rudelbildungen, Einmischungen von Dritten sowie Faustschläge von hinten („Sucker Punches“) dagegen unterliegen weiterhin einer weit härteren Bestrafung.
Fazit: In der Schwedischen Eliteserien vor kurzem ebenfalls diskutiert, aber wieder verworfen, bleibt das Hauptproblem dieser Regel dabei, dass die ohnehin schon große Bestrafungsbandbreite bei Schlägereien nun weiter anwächst. Das Ganze ist eine fast völlige Übernahme des NHL-Regelwerks in diesem Punkt, ob die Spieler und Coaches damit umgehen können, wird sich zeigen. Abzuwarten auch, wie das ligainterne Statistikprogramm mit dieser Neuerung fertig wird.
Die EBEL stellt sich also in einigen Punkten gegen das IIHF-Regelbuch, nicht als einzige europäische Liga. Allerdings handelt es sich in anderen Ligen meist nur um Kleinigkeiten:
SM-Liiga (Finnland): Spieler, die ihren Helm verlieren, dürfen auf dem Eis bleiben. Aus dem eigenen Drittel in die Spielerbank geschossene Pucks führen im Gegensatz zum internationalen Regelwerk zu Strafen.
National League A (Schweiz): Im Penaltyschießen treten jeweils fünf Spieler (nicht nur drei) in der ersten Serie an.
Extraliga (Tschechien): Attacken von hinten an einem Spieler bei einem Breakaway führen automatisch zu einem Penalty Shot, selbst wenn die Torchance damit nicht zunichtegemacht wird.
EIHL (Großbritannien): Schon vor der EBEL die einzige Liga mit 5-Minutenstrafen bei Faustkämpfen. Die international völlig irrelevante Liga ist auch die einzige mit „Touch Icing“ wie in der NHL.
Während die durchgehende Einführung des Viermannsystems und die damit einhergehende Leistungssteigerung der Referees eher unterging, hat sich der umtriebige Ex-NHL-Linesman Lyle Seitz mit diesem Regelmanifest gegen alteingesessenen Schiedsrichterfunktionäre durchgesetzt. Die EBEL rückt damit wieder ein Stück vom ÖEHV und sogar von der IIHF weg und orientiert sich in Richtung der NHL-Regeln. Die Änderungen hatten in den ersten zwei Runden nach der Pause keine Auswirkungen, es bleibt abzuwarten, wie es dann in der heißen Saisonphase weitergeht. Aus deutschen Schiedsrichterkreisen (Austauschpartner mit der EBEL) war jedenfalls schon ein leichtes Grummeln zu hören, es würde auch nicht überraschen, wenn die IIHF-Schiedsrichterkommission sich für diese Änderungen interessieren wird.
Seitz, erst im Sommer von der EBEL installiert und seitdem dauernd auf Achse, betont immer wieder die Herkulesaufgabe, der er sich als „Director of Hockey Operations“ angenommen hat: „Ein Schritt gemacht, 999 noch zu tun.“ In Zukunft ist auch damit zu rechnen, dass die im internationalen Vergleich übermäßig langen Sperren in der nächsten Saison wieder zurückgeschraubt werden.
Doch egal welche Auslegungen man bevorzugt, einige Refs machen sich immer noch ihre eigenen Regeln. Etwa beim vorweihnachtlichen Spiel Salzburg gegen VSV, als Head Roland Altersberger Villach-Stürmer Markus Peintner einen Treffer unglücklich und natürlich unabsichtlich mit dem Schlittschuh auflegte. Kann passieren und war gottseidank auch nicht spielentscheidend, dass Altersberger den Treffer aber gegen jedes Regelwerk annullierte, beweist, dass es oft eher an den Umsetzern als an den Regeln scheitert…