Pierre Pagé für Fortgeschrittene
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Stefan Jäger -
28. November 2011 um 10:25 -
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An diesem staubigen Spätsommertag stauten sich in der Salzburger Gaisbergstraße, wenige Meter von der Salzburger Eishalle entfernt, die Autos. Ich war (untypisch für mich) zu früh dran und ließ den Stau eben Stau sein. Das Büro der Red Bulls befindet sich in einem nüchternen Bürogebäude auf der rechten Seite, Guido Stapelfeldt, Pressesprecher der Eishockey-Bullen deutete bei meiner Ankunft fast entschuldigend hinaus auf die Blechkarawane: “Sorry, Bausaison.” Nachsatz: “Pierre verspätet sich.”
Das lag weniger am aggressiven Bauprogramm der Mozartstadt als an jenem eines anonym bleibenden Zahnarztes, der den Cheftrainer der Salzburger in Beschlag genommen hatte. Denkbar ungünstige Voraussetzungen für ein Interview mit dem Mann, dessen Ansichten in Sachen Eishockey Jahr für Jahr polarisierten. Ich trank mir mit Red Bull in der einem Eishockey-Rink nachempfundenen Küche der Bullen Mut an und dachte krampfhaft über einen passenden Einstieg in unser Gespräch nach. Wir hatten zuvor bereits einige Male telefoniert, waren im direkten Kontakt aber nie über Small-Talk im Klagenfurter Kabinengang hinausgekommen.
Pagé befreite mich aus meinem sprachlichen Elend und entschied sich für einen “Le Mans”-Start. Keine Floskeln, keine Formalitäten. Ein kurzer Gang, vorbei an verstaubten Pokalen, führte ins abgedunkelte Büro: Schreibtisch, Besprechungstisch, Eishockey-Bild an der Wand. Ende der Ausstattung: “Also, was willst du wissen?” Und dann sprach Mr. Pagé. Zehn Minuten, dreißig Minuten. Eine Stunde. 90 Minuten. Pierre Pagé sprach über Eishockey, Leidenschaft, Siegeswillen und Mannschaftsgeist. Er sprach über Fehler, über Fehlentwicklungen. Den so kantigen Gesichtszügen entwich mit jedem Satz die Strenge. Pagé wirkte beseelt, fast ergriffen.
Wir kamen auf Kärnten zu sprechen, ein heikles Thema. Unter den KAC-Fans galt und gilt der Salzburger Trainer als persona non grata schlechthin. Zu frisch sind die Geschichte von Bodyguards, Wachhunden und den eindeutigen “FYP” T-Shirts, die in der Finalserie des Vorjahres überall auf den Rängen zu sehen waren. Pagé gelang es mich zu überraschen: “Ein wunderbares, einzigartiges Land. Wenn ich zwischendurch Zeit habe, fahre ich auf Besuch. Die Menschen erinnern mich ein wenig an meine Frau Donna. In ihren kulturellen Identität seid ihr sehr bestimmt, sehr stolz und selbstbewusst.” Seine Frau, fügte er an, sei aus Nova Scotia. Die Provinz an der Ostküste Kanadas gelte ob ihrer exponierten Lage im Atlantischen Ozean als schwer zugänglich, das stimme übrigens auch für ihre Bewohner. “Sie ist die Konstante in meinem Leben. Diejenige die mir sagt: Pierre, es ist doch nur ein Spiel.”
Ich muss an Pierre Pagé und seine Frau denken, als der kleine Bildschirm in der Rückenlehen vor mir anzeigt, dass der Lufthansa-Airbus der mich zurück nach Europa trägt, gerade die Dunkelheit über Nova Scotia durchschneidet.
Wochenlang war Pierre Pagé zuvor nicht hinter der Bande gestanden. Die Gesundheit seiner schwerkranken Frau rückte an die erste Stelle. Just in Klagenfurt, fort wo normalerweise Anti-Pagé-Sprechchöre in der alternden Stadthalle ertönten, rollten Fans ein Plakat aus: “Alles Gute, Mrs. Und Mr. Pagé.” Nach dem Spiel ergriff Pagé das Mikrofon und bedankte sich beim Publikum – emotional, ehrlich berührt.
Ich weiß nicht, was in Pierre Pagé in diesem Moment vorging, aber ich erinnerte mich an die herzliche Verabschiedung, die er mir nach dem sommerlichen Interview zuteil hatte werden lassen. “Ich liebe Eishockey und ich liebe den Erfolg. Aber vor allem liebe ich meine Familie. Das sollte auch immer so sein.“
Damit war alles gesagt.
Bild: EC Red Bull Salzburg / GEPA pictures / Wolfgang