Kaderbewertung: Entfacht Jim Boni neues Feuer bei den Capitals?
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marksoft -
1. September 2015 um 11:01 -
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Die Vienna Capitals haben eine nicht immer einfache letzte Saison hinter sich gebracht und nach einem späten Trainerwechsel dann doch überraschend das Finale erreicht. Dort musste man die Übermacht Salzburgs anerkennen, aber heuer will man die Mozartstädter fordern. Kann das die älteste Mannschaft der Liga?
In den letzten drei Jahren standen die Vienna Capitals zwei Mal im Finale und holten trotzdem keinen Titel. Darüber hinaus haben die Wiener trotz ständiger Mit-Favoritenrolle den Stempel „langweilig“ aufgedrückt bekommen. Das Feuer im Wiener Spiel fehlte in den letzten Jahren, man versuchte mit kontrollierter Defensive zum Erfolg zu kommen. Das funktionierte einmal mehr, einmal weniger, ließ aber selbst unter den eigenen Fans trotz zweier Vizemeistertiteln und 9 (mindestens) Halbfinalteilnahmen in den letzten 11 Jahren die Lust etwas kühler werden.
Das soll sich aber ändern – und „Schuld“ daran hat ein Mann: Jim Boni. Er hat 2005 den letzten Meistertitel nach Kagran geholt, er hat letzte Saison aus einer Loser-Mannschaft eine hart kämpfende Einheit gemacht, die sich bis in Finale kämpfte. Und er soll endlich wieder einen echten „Contender“ in der Bundeshauptstadt aufbauen. Boni selbst gilt dann auch innerhalb der Eishockeyszene als ausgezeichneter Motivator, der zudem nach einigen Jahren weg von der Coachingbank mit Feuer bei der Sache ist. Dass ihm eventuell taktische Rafinessen und die Coachingskills einiger in der EBEL hoch angesehenen Trainer fehlen ist nebensächlich. Boni gilt in Wien als Heilsbringer, von ihm erwartet man sich einiges. Vor allem eines: endlich wieder attraktives Eishockey!
Der Weg soll über viele erfahrene Spieler führen, dazu ein tief besetzter Kader und ein neuer Goalie. Alles in allem viele Fragezeichen bei de Wienern, die trotzdem auch heuer wieder zu den Titelkandidaten gezählt werden. Mit Vorbehalten allerdings, denn das statistisch gesehen älteste Team der Liga will behutsam durch eine dank CHL auch noch lange, enge und auch kräfteraubende EBEL Saison geführt sein. Das hat man schon letzte Saison gesehen: nach einer begeisternden CHL Performance starteten die Wiener in der Liga ausgezeichnet, holten aus den ersten 20 Spielen beeindruckende 15 Siege und unterstrichen ihre Titelambitionen. Aber dann kam der Einbruch: in den folgenden 16 Spielen wurden nur noch 5 Siege eingefahren und genau in der wichtigsten Zeit des Grunddurchgangs verlor man gegenüber der Konkurrenz an Boden.
###Die Ausgangslage
Schon letzte Saison konnte man in Wien so etwas wie „Aufbruchstimmung“ spüren. Damals kam Tom Pokel als Meister zu den Capitals, man erhoffte sich nach vielen Enttäuschungen endlich wieder eine konkurrenzfähige Mannschaft. Das schien auch tatsächlich zu sein, denn Pokel hatte mit Kris Foucault ein goldenes Händchen gehabt und einen ausgezeichneten Legionär geholt. Die Mannschaft überzeugte in der CHL und auch in der EBEL. Zumindest anfangs, denn wie die Statistiken zeigen, hatte man ein großes Problem innerhalb des Teams. Man schoss zu wenig Tore, obwohl man die Chancen hatte und auch im Tor war man nicht mehr so gut besetzt.
Statistische Fakten 14/15:
Power Play: 19,84% (8.)
Penalty Killing 78,97% (1.)
Fairplay 13,77 Min/Sp (10.)
Scoring Effizienz 9,31% (9.)
Goalkeeping 7,93% (12.)
Tore geschossen: 119 (8.)*
Tore erhalten: 117 (3.)*
*zwecks Vergleichbarkeit nur aus dem Grunddurchgang
Zwei bis drei Gesichter zeigten die Vienna Capitals in der letzten Saison. Anfangs war man herausragend, dann folgten der große Einbruch und die Gerüchte über mannschaftsinterne Revolten gegen Tom Pokel. Fast wäre der ohnehin erwartete Trainerwechsel zu spät gekommen, aber Jim Boni schaffte es innerhalb weniger Wochen wieder den Kampfgeist zu wecken und mit den Play Offs war auch die Siegermentalität wieder da. Fehervar und Linz wurden niedergekämpft, gegen Salzburg war man dann aber in allen Belangen unterlegen. Rein statistisch gesehen waren die Problemfelder offensichtlich: es fehlten die Torjäger und hinten ein zuverlässiger Torhüter. Matt Zaba wurde als Konsequenz daraus auch nicht mehr verlängert, darüber hinaus gibt es zahlreiche Neuzugänge, die nicht nur mehr Offensive, sondern auch mehr Tiefe bringen sollen.
Dabei profitierten die Vienna Capitals von der Adaptierung der Punkteregel, durch die ab sofort nicht jeder Nationalteamspieler automatisch einen halben Punkt mehr zählt, als sein eigentlicher Punktewert wäre. Der Vorteil für die Boni Truppe: plötzlich hatte man noch 4 Punkte frei und konnte einen zusätzlichen Legionär verpflichten. Nun steht man mit 60 Punkten da und hat zumindest in dieser Hinsicht alles gemacht, was man machen konnte. Und das mit einem Gehaltsbudget, das nicht in den Regionen von Salzburg, KAC oder auch Linz mitmischen kann.
Der Kader ist mit 28,446 Jahren der älteste in der Liga und auch was Größe bzw. Gewicht betrifft ist man lediglich im Mittelfeld angesiedelt. Im Tor hat man frisches Blut geholt, ob Nathan Lawson aber der Zauberer ist wird sich weisen. In der Defensive setzt man auf Altbekanntes, gemischt mit erfahrenen, neuen Kräften und vorne müssen die Neuzugänge jene Tore schießen, die letzte Saison so stark vermisst wurden. Insgesamt wirkt man über vier Linien sehr gut besetzt und hat mit Sicherheit das Potential, wieder eine entscheidende Rolle bei der Titelvergabe einzunehmen. Wenn man allerdings 10 Spieler über 30 Jahre im Kader hat und einige davon mit knapp um oder über 35 bereits in den Herbst ihrer Karriere gehen, dann haben auch Verletzungen einen Einfluss auf eine lange Saison. Und in letzter Konsequenz auch die Kraft in einer Liga, die zwar im internationalen Vergleich viel auf Kraft und Zweikämpfe setzt, trotzdem aber in den oberen Regionen auch vom Speed beherrscht wird. Allgemein wird erwartet, dass die Hauptstädter vorne mitmischen, je länger die Saison dauert aber abbauen könnten. Dennoch darf man die Mannschaft von Jim Boni heuer mit attraktiverem Hockey und mit mehr Einsatz erwarten. Salzburg scheint weiter nicht erreichbar zu sein, aber ansonsten kann man wohl mit allen Teams mithalten.
HF.at Prognose: Platz 2 bis 4
###Kaderbewertung Vienna Capital – Torhüter und Abwehr:
Torhüter:
Abgänge: Matt Zaba
Zugänge: Nathan Lawson
Eine der ganz großen Baustellen in der letzten Saison war bei den Vienna Capitals mit Sicherheit die Position des Torhüters. Matt Zaba konnte zwar 4 Shutouts für sich verbuchen, war aber nicht mehr der herausragende Rückhalt, der er schon einmal in der EBEL gewesen ist. Nur Rang 13 im Ligaranking sprechen eine deutliche Sprache, wobei eine Fangquote von 91,11% noch immer eine durchaus gute ist. Dass sich Zaba dann auch noch verletzte und dadurch zum großen Fragezeichen auch für die neue Saison wurde, beschleunigte die Entscheidung der Hauptstädter entscheidend. Es wurde mit Nathan Lawson ein Mann geholt, mit dem man wenig Risiko eingeht. Bei den Bulldogs aus Dornbirn war er mit einer Fangquote von 92,09% überzeugend, wenngleich auch ihm nicht unbedingt der Ruf nachhängt, Spiele entscheiden zu können. Lawson ist ein anderer Typ Keeper, wie es der ruhige Zaba war. Die neue Wiener Nummer 1 ist zappelig, unruhig und wird ab und an auch die Nerven der Fans beanspruchen.
Mit David Kickert bleibt die Nummer 2 im Vergleich zum letzten Jahr gleich. Der 21-Jährige gilt als großes Talent und bekam letzte Saison auch immer wieder Eiszeit. Dabei zeigte er aber mit einer Fangquote von nur 88,26% Luft nach oben. Den Part eines Entlastungsgoalies für Lawson kann er aber problemlos spielen, vor allem wenn vor ihm rigoros aufgeräumt wird. Dafür wird Jim Boni schon sorgen, denn Harakiri-Aktionen in der eigenen Defensive waren noch nie das Markenzeichen des Capitals Coaches. Man darf also eine kompaktere und konzentriertere Abwehr vor den Torhütern erwarten, was es wiederum auch diesen einfacher machen wird, die Statistiken zu verbessern. Insgesamt ist man in diesem Bereich ordentlich aufgestellt, im Vergleich zu Villach oder auch Graz ist aber gerade die Nummer 1 Position kein „Sieggrund“.
Bewertung: 3,5 von 5 Punkten
Abwehr:
Abgänge: Brett Carson, Markus Schlacher
Zugänge: Troy Milam, Klemen Pretnar
In der Abwehr hatten die Vienna Capitals eigentlich herzlich wenig Grund, Veränderungen herbeizuführen. Im Grunddurchgang hatte man die drittbeste Defensive der Liga, allerdings kam vor allem von hintern heraus zu wenig. Mit Jamie Fraser verfügt man zwar über einen starken Offensivverteidiger, der allerdings eher durch Vorlagen, denn mit Toren glänzt. Aber mit Florian Iberer und auch dem erfahrenen, neu ins Team geholten Troy Milam hat man hier weitere Abwehrspieler die von der blauen Linie gefährlich werden können. Dass Klemen Pretnar bekannt defensivstark ist und als zuverlässiger, wenig Fehler produzierender Abwehrspieler gilt, passt ins Konzept von Boni. Selbiges kann man auch von Sven Klimbacher und neuerdings auch Philippe Lakos sagen. Letzterer ist mit seinen 35 Jahren gereift und weit entfernt von den vielen Strafen, die er bis vor wenigen Jahren noch produziert hat. Lakos ist ein arbeitender Defensivspezialist geworden, der unauffällig seine Arbeit verrichtet, aber mit dem zunehmenden Speed in der Liga zu kämpfen hat. Patrick Peter wird auch heuer wieder einen Schritt nach vorne machen und vor allem das Defensivverhalten stärken müssen (-19 letzte Saison!). Wie schon letzte Saison setzt man bei den Hauptstädtern auf nur 8 Verteidiger im Kader, einer davon der erst 18-jährige Dominic Hackl. Das deutet zumindest darauf hin, dass man auch heuer mit nur drei Defensivlinien und einem siebten Verteidiger agieren will. Das sollte bei strikterem Defensivkonzept und einem etwas besseren Torhüter im Vergleich zum Vorjahr mit einer erfahrenen und unspektakulären Abwehr aber reichen, um weiterhin eines jener Teams in der Liga zu sein, das die wenigsten Gegentore zulässt. Einzig der Offensivoutput bleibt weiterhin hinterfragenswert, denn eine zusätzliche Waffe von der blauen Linie hat man wohl nicht in den Reihen. Am ehesten kann das noch Troy Milam übernehmen.
Bewertung: 4,0 von 5 Punkten
###Kaderbewertung Vienna Capitals – Angriff und Trainer:
Angriff:
Abgänge: Kris Foucault, Benoit Gratton, Hugh Jessiman, Peter MacArthur, Ken Magowan, Adam Naglich, Kevin Puschnik, Dustin Sylvester, Matt Watkins, Nicolas Deschamps.
Zugänge: Simon Gamache, Derek Whitmore, MacGregor Sharp, Kurtis McLean, Matt Dzieduszycki.
Im Angriff gibt es so etwas wie einen Umbruch bei den Capitals. Mit Benoit Gratton ist der große Leader weg, dazu verloren die Hauptstädter mit Kris Foucault verlor man einen herausragenden Legionär. Der Rest der abgegebenen Stürmer fiel zwar in die Schublade „Arbeiter“, aber die großen Scorer und Goalgetter waren nicht dabei. Das Kollektiv war zwar stark und hart arbeitend, was sich in den Play Offs als entscheidend erwies, aber es wurde zu wenig Torgefahr verströmt. Daher hat man sich in dieser Saison entsprechend verstärkt. Zum Beispiel mit Simon Gamache, der allerdings den Ruf hat, dass er eigensinnig spielt und lieber selbst den Weg zum Tor sucht, als aufzuspielen. Tja, genau das hat den Wienern bekanntlich gefehlt. Ähnliche Attribute hat der unaussprechliche Matt Dzieduszycki, Diesel gerufen. Er dürfte in der EBEL durchaus für 20+ Tore gut sein und somit ebenfalls die Offensivpower entscheiden verbessern. Dass man mit Karl Stewart einen fix eingeplanten Goalgetter schon im Sommer wieder verlor hat nur kurze Zeit geschmerzt, denn mit Krutis McLean wurde ein guter Center geholt, der sich in der KHL unter Wert verkauft hat, in unserer langsameren Liga aber eine Rolle spielen wird. Dazu kommen harte Arbeiter wie ein Derek Whitmore, MacGregor Sharp, Andreas Nödl oder ein Danny Bois. Rafael Rotter wird unter Lieblingstrainer Jim Boni nicht nur eine andere Rolle bekommen, sondern mit Sicherheit auch mehr Akzente setzen, als in der letzten Saison. Dazu kommen noch Talente wie Niki Hartl, Sascha Bauer und Julian Großlechner, sowie der zuverlässige Michael Schiechl. Das ergibt einen sehr interessanten Mix, bei dem die Leistungsträger zwar viel Erfahrung haben, aber womöglich im Vergleich zu Meister Salzburg den nötigen Speed vermissen lassen. Dennoch hat man hier im Vergleich zur letzten Saison einen Schritt nach vorne gemacht und ist neben Salzburg wohl das am tiefste besetzte Team der Liga mit weniger Rollenspielern und mehr Kreativpotential als noch vor einem Jahr.
Bewertung: 4,5 von 5 Punkten
Trainer:
Abgang: Philippe Horsky
Zugang: Rick Nasheim
Jim Boni kam bereits im Verlauf der Zwischenrunde letzte Saison nach Wien und hat seither viele Hoffnungen in der Hauptstadt geschürt. Das Erreichen der Finalserie gegen Salzburg soll nach dem Wunsch nur ein Vorgeschmack gewesen sein, denn Boni soll den Titel holen. Nicht mehr und nicht weniger. Dass er mit dem neuen Co-Trainer Rick Nasheim seinen alten „Buddy“ mit an Board geholt hat, wird vor allem auch für das Team Auswirkungen haben. Nasheim ist ein Mann, der für das gute Klima innerhalb der Kabine wichtig ist und einen guten Job als Videoanalyst macht. Man kennt sich aus gemeinsamen Zeiten in Linz und später auch in Ingolstadt. Die Wellenlänge stimmt und man zieht an einem Strang. Das ist wichtig, vor allem wenn es in der letzten Saison nicht ganz so reibungslos lief, wie man sich das bei den Capitals gewünscht hatte. Jim Boni kann trotz der sich verbreitenden Euphorie in dieser Saison nicht viel falsch machen. Seine Mannschaft soll nur mehr Feuer zeigen und damit die Massen begeistern. Vom Präsidenten gibt es den Meister-Wunsch, der allerdings realistischer Weise nur dann möglich sein wird, wenn in Salzburg irgendetwas völlig falsch läuft. Gefragt sein wird Boni in der Saisoneinteilung einer Mannschaft, die als die älteste der Liga mit den Kräften haushalten muss. Niemand will mehr einen Schnellstart und dann rund um Weihnachten den großen Einbruch. Aber das weiß auch Boni, der große Motivator und Liebling von Fans und Medien. Mit seiner gewinnenden Art wird er im Mittelpunkt stehen und so auch den Druck vom Team nehmen. Ob das reicht, um wirklich Nummer 1 Herausforderer von Salzburg zu sein wird sich weisen. Es ist ein Unterschied, eine fertige und grundsätzlich gut zusammengestellte Mannschaft während der Saison als Motivator zu übernehmen, oder ein eigenes Team zu bauen und dieses dann auch taktisch und konditionell zu schulen. Die letzteren beiden Punkte hat Tom Pokel nämlich durchaus ausgzeichnet gelöst letzte Saison. Jetzt liegt es am Duo Boni/Nasheim es noch besser zu machen und auch das Eis in Wien-Kagran endlich wieder mit richtiger Leidenschaft brennen zu lassen,.
Bewertung:4 von 5 Punkten
Gesamtwertung: 16,0 von 20 Punkten
###Die Zwischenwertung in der HF.at Kaderbewertung:
1. Vienna Capitals 16,0 Punkte
2. Black Wings Linz 15,5 Punkte