WM 2004: Mehr als nur eine WM für die Schweiz
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marksoft -
23. April 2004 um 14:02 -
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Wie jedes Jahr Ende April steht die Eishockey-WM vor der Tür. Diesmal allerdings wird es eine speziellere sein. Nicht nur weil sie erstmals seit 1992 wieder in Tschechien stattfindet, als Schweden den Titel gewann und die Schweiz unter Bill Gilligan den sensationellen vierten Platz erreichte. An der diesjährigen WM in Prag und Ostrava sitzt den Teams auch die neue IIHF-Weltrangliste im Genick. Als vorerst einzige Modus-Neuerung droht Japan nach Aufhebung der Sonderregelung seinen Stammplatz zu verlieren.
Ein Beitrag von Martin Merk, hockeyfans.ch Zusätzliche Spannung durch Weltrangliste Diese neue Erfindung, welche auf Vorreiter anderer Sportarten basiert, soll die Leistungen der letzten vier Jahren zusammenfassen. Und zwar die WM 2004 zu hundert Prozent, die WM 2003 zu 75 %, die WM 2002 sowie die Olympischen Spielen des gleichen Jahres zu 50 % und die WM 2001 zu 25 %, die WM 2000 mit dem erfolgreichen sechsten Platz für die Schweiz fällt in der neuen Wertung raus. Durch diese Konstellation ist es der Schweiz als Nummer 9 nach dieser Berechnung praktisch unmöglich, den achten Rang zu erreichen. Man müsste um fünf Plätze besser klassiert sein als einer der direkten Konkurrenten USA oder Deutschland. Und dann hätte man viele Privilegien an seiner Seite, die ja eigentlich schon eher für die Grossnationen USA/Deutschland gedacht wären: Die Direktqualifikation zu den Olympischen Winterspielen 2006, Topf 2 statt 3 bei der Auslosung zur WM 2005 am 12. Mai und damit theoretisch eine einfachere Gruppe sowie je nachdem ein Startplatz für den neuen europäischen Clubwettbewerb. Der Druck auf die Mannschaft von Ralph Krueger ist damit gewiss nicht kleiner geworden. Doch Krueger wäre nicht Krueger, würde er nicht optimistisch über die ganze Sache blicken. Während er es durchaus für möglich hält, um fünf Ränge besser zu sein als Deutschland oder die USA (dies war letzte Saison bei den Amerikanern sogar der Fall), planen andere beim Schweizerischen Eishockeyverband bereits für eines der drei Olympia-Qualifikationsturnieren, bei welchem die Nationen auf den Rängen 9 bis 11 Gastrecht haben. Es sollte an Stelle des Skoda-Cup vom 10. bis 13. Februar 2005 stattfinden, voraussichtlich in Basel oder Kloten. Ausser Kruegers Optimismus würde sich wider Erwarten bewahrheiten. Abseits all dieser Szenarien und Spekulationen kämpft man auch um die "üblichen Ziele", für welche man nicht auf zwei spezielle Gegner blicken muss. Die Viertelfinalqualifikation gilt zweifellos wieder als ein Mindestmass, eine bessere Klassierung als Rang 8 - erstmals seit 2000 - wäre Balsam für das zuletzt neben dem Eis turbulente Schweizer Eishockey. Mit Kanada, Österreich und Frankreich als Gruppengegner hat die Schweiz gemäss der Setzliste auf dem Papier die einfachste Gruppe seit mindestens fünf Jahren. Während gegen die kanadische NHL-Auswahl bereits eine knappe Niederlage als ehrenvolles Resultat gelten darf, sind die Schweizer gegen Österreich und Frankreich Favorit, der zweite Gruppenrang wird von der Schweiz erwartet - nicht mehr und nicht weniger. Die totale Blamage dagegen wäre ein vierter Rang und damit eine Teilnahme an der Abstiegsrunde, während ein dritter Rang die Möglichkeit einer Viertelfinalqualifikation in die Ferne rücken lässt, weil die Punkte aus den Direktbegegnungen mitgenommen werden. Seit Einführung dieses Modus vor vier Jahren hat von 16 Fällen nur einmal ein Gruppendritter noch das Viertelfinale erreichen können: 2000 die Kanadier, als sie aus der Vorrunde keinen Punkt mitnahmen, dafür alle drei Zwischenrundespiele gewannen und am Schluss Vierte wurden. Dieses Beispiel zeigt wie wichtig es für die Schweiz ist, bereits in der Vorrunde die Grundsteine zu legen. Wieder Schicksalsspiel gegen Deutschland? In der Zwischenrunde würden dann drei weitere Gegner - voraussichtlich Tschechien, Deutschland und Lettland - warten, gegen die etwa weitere zwei bis vier Punkte nötig wären um das Viertelfinale zu erreichen. Nach den Nachbarsduellen gegen Österreich und Frankreich wäre dann vor allem der Klassiker gegen Deutschland wohl vorentscheidend. Und genau hier hat man eine längere Rechnung offen: 2001 und 2002 verlor man an den Weltmeisterschaften ähnliche Schlüsselspiele gegen Deutschland kläglich und konnte dies nicht mehr wettmachen, kam nicht ins Viertelfinale. Nach einem Jahr Pause von diesem Deutschland-Trauma steht damit wohl wieder ein heisses Duell gegen die DEB-Auswahl an, natürlich immer vorausgesetzt, dass alles "erwartungsgemäss" verläuft. Der letzte WM-Sieg über Deutschland feierte die Schweiz übrigens 1992 - im Viertelfinale in Prag. Wenn das kein gutes Omen ist? Die Gruppengegner Zurück von der Zukunftsmusik zu den drei angesetzten Spielen: Die Schweiz tritt ein Mal als krasser Aussenseiter und zwei Mal als Favorit an. Gegen eine kanadische Mannschaft, welche ausschliesslich aus motivierten NHL-Spielern besteht, hat die Schweiz auf dem Papier gewiss keine grosse Chancen. Hier müssen die Schweizer auf Granit beissen und dem uneingespielten Gegner alles abverlangen. Immerhin aber sind die Kanadier erstmals in dieser Formation zusammen und bestritten nur zwei Spiele - gegen das zweitklassige Ungarn (9:2) und den Gastgeber Tschechien. Einen WM-Sieg gab es gegen die Kanadier noch nie und diese Saison wird es gewiss nicht einfacher. Immerhin wurden die Schweizer zuletzt respektvoll geschlagen: Mit 0:2 im vergangenen Jahr in Turku und ein Jahr davor mit 2:3 in Karlstad. Den letzten Punktgewinn gegen die Ahornblätter feierte man übrigens 1992 - ja genau: In Prag! Vor Kanada bekommt man es jedoch mit dem Aufsteiger Frankreich zu tun. Als Stars im Team von Heikki Leime gelten der SCB-Stürmer Sébastien Bordeleau (der Franko-Kanadier erhielt kurzfristig die Spielberechtigung vom IIHF), der zukünftige Langnau-Goalie Cristobal Huet von den Los Angeles Kings sowie die altbekannten Routiniers wie Arnaud Briand, François und Maurice Rozenthal, der AHL-Legionär Yorrick Treille und als grosse Überraschung Christian Pouget. Der wegen Marihuana-Konsums lange gesperrt gewesene frühere Chaux-de-Fonds-Verteidiger gab nicht nur in der zweiten (!) französischen Division für Chamonix das Comeback, sondern wagt es im Alter von 38 Jahren nochmals auf internationaler Bühne - etwa im Gegensatz zum vor zwei Jahren zurückgetretenen Philippe Bozon von Servette. Er ergänzt als Routinier die eher junge französische Verteidigung. Die sich im Generationenwandel befindenden Franzosen gilt es gewiss nicht zu unterschätzen, erreichte man doch im letzten Aufeinandertreffen 2002 in Salt Lake City nur ein 3:3, bei dem sich Maurice Rozenthal zwei Tore und ein Assistpunkt gutschreiben lassen konnte und Cristobal Huet 30 Schüsse hielt. Diese Topspieler sind nach wie vor im Einsatz und können an einem guten Tag ein Spiel entscheiden. Sie bilder weiterhin und bis zu ihrem Karrierenende das Gerüst der französischen Nationalmannschaft, denn neue Idole kommen in Frankreich nur behäbig hervor, wie etwa im Fall von Cristobal Huet, der sich mit Lugano und der Nationalmannschaft für einen Platz in der Organisation der Los Angeles Kings empfehlen konnte. Etwas geläufiger ist den Eisgenossen Österreich, auf das man in den letzten zwei Saisons drei Mal getroffen ist. Im Dezember 2002 gewann man die beiden Trainingsspiele in Herisau und Feldkirch deutlich mit 6:0 und 3:1. Im Dezember 2003 schien es anlässlich des Loto-Cup in der Slowakei einen ähnlichen Ausgang zu geben, doch schaffte man es in den letzten vier Minuten des Spiels, drei Tore (!) zum 3:3-Ausgleich zu kassieren. Blamable Schlussminuten, welche eine Lehre gewesen sein sollten, denn die Österreicher sind besser als ihr Ruf und haben auch junge Spieler in ihren Reihen, welche sich in Nordamerika durchzubeissen scheinen. Im Gegensatz zur Schweiz hat man zwar nicht viele Draftkandidaten und nicht die nötige Breite, um mit einer Juniorennationalmannschaft in der A-Klassigkeit zu bleiben, doch dafür gehen die Jungen mit viel Willen ans Werk. Wenn sie Talent haben, ist ihr Ziel nicht die österreichische Liga, wo es vergleichsweise wenig zu verdienen gibt, sie versuchen es über das College-Hockey, über die DEL oder andere europäischen Ligen und haben Erfolg dabei. Etwa der Torhüter Rainer Divis von St. Louis oder der verletzt ausfallende Christoph Brandner von Minnesota, letzte Saison Teamstütze beim deutschen Meister Krefeld. Zu ihnen zählen muss man auch den Nationaltrainersohn Thomas Pöck, der von seinem Vater Herbert für das nordamerikanische Eishockey gefördert wurde und als College-Verteidiger diese Saison für sechs NHL-Partien (4 Scorerpunkte!) zu den grossen New York Rangers gerufen wurde. Allgemein verlor die Schweiz in den vergangenen zehn Saisons zwar nur 2 von 12 Spiele gegen Österreich, dafür aber wegweisende: 1995 stieg man an der WM in Schweden nach einer 0:4-Schlappe gegen den östlichen Nachbar ab, 1997 verlor man im Barragespiel um den letzten Olympia-Platz in Duisburg gegen Österreich 0:2. Es waren damals die schwarzen Jahren der Nationalmannschaft in der B-Klassigkeit - bis der von Feldkirch gekommene heutige Nationalcoach Ralph Krueger an der Heim-WM 1998 mit dem vierten Platz einen erfolgreichen Einstand feierte. Frankreich wie auch Österreich hoffen als gefährliche Aussenseiter auf ihre Chance, zumal die Gruppe auch für sie als einfach gilt, hätten sie doch statt der Schweiz auch Russland oder Finnland aus dem Topf 2 zugelost erhalten können. Sie wittern ihre Chance und werden alles daran setzen, das Spiel der Schweizer zu unterbinden und haben wie alle Teams dieser Gruppe einen NHL-Mann im Tor. Diesbezüglich konnten die Schweizer im "Härtetest" bezüglich dieser Spielweise gegen Dänemark mit zwei Siegen überzeugen - jedoch nicht ohne Schwächen im Abwehrverhalten zu offenbaren, was bei gefährlichen Kontermöglichkeiten der Dänen zum Vorschein kam. Auch in dieser Hinsicht gilt es zu zeigen, dass man die bessere Mannschaft ist und sich auch bei überlegenen Spielanteilen nicht auskontern lässt wie etwa vor zwei Jahren gegen Frankreich. Spieler und Stimmung vor dem Prager Frühling Die Vorzeichen stehen bei diesen Gegnern auf Spannung. Jene Vorzeichen im Team stehen auf Optimismus - nicht nur bei Ralph Krueger. Dem Deutsch-Kanadier blieben diese Saison grössere mediale Aufregungen erspart. Die Giftpfeile hielten sich in Grenzen und aus Spielerkreisen gab es ebenfalls keine Nebenkriegsschauplätze. Neben Reto von Arx verweigerte einzig Lars Weibel schon lange im Voraus angekündigt seinen "Dienst", weil ihm an der WM 2003 Marco Bührer zu oft vorgezogen wurde. Bezüglich Torhüter ist Krueger aber auch so gut besetzt: Marco Bührer und Ronnie Rüeger galten als beste Torhüter in der NLA-Saison und Martin Gerber gehörte in der NHL statistisch zu den besten seines Metiers. Auch auf AHL-Legionäre kann man wieder zählen, etwa auf Julien Vauclair und Goran Bezina, welche Fortschritte gemacht haben und ihre ersten NHL-Erfahrungen sammeln durften, oder den vorzeitig zurückgekehrten Luca Cereda. In der Nationalmannschaft und beim Verband herrscht längst nicht mehr eine übertriebene Euphorie wie noch vor einigen Jahren, als man die Etablierung in den "Top 6" anvisierte, doch eine gute und realistische Stimmung, mehr Kraft und Einsatzfreude als auch schon. In ihrer Ruhe und trotz landesweit enttäuschenden Zuschauerzahlen wurde eine Nationalmannschaft feingeschliffen, welche Freude bereiten kann und hierzu auch genügend interessante Begegnungen erhält. Lassen wir uns überraschend, ob die goldene Stadt Prag den Schweizern neben all ihrem Charme auch Erfolg zu bieten hat, wie im "Prager Frühling" von 1992. Immerhin die Statistik spricht dafür: Sechs Jahre danach holte man 1998 in der Schweiz erneut den vierten Platz und nun sind seither sechs weitere Jahre vergangen und man ist zurück in der tschechischen Metropole. Austragungsmodus: Die letzte Sushiparty? Für die Schweiz als zweiter Gruppenfavorit ist diese Situation an der diesjährigen WM neu. Ansonsten hat sich nicht viel geändert. Von den vier Vierergruppen werden wieder je die drei besten weiterkommen und zu zwei Sechsergruppen für die Zwischenrunde zusammengefasst, wo jeweils die vier besten ins Viertelfinale kommen. Grössere Änderungen am Modus sollen zwar in Planung sein, etwa zwei Achter- statt vier Vierergruppen gefolgt durch die Zwischenrunde (wir berichteten), doch für diese Saison gibt es nur eine Neuerung: Japan verliert seinen Sonderstatus als Fernost-Qualifikant. 1998 waren sie mit der Aufstockung als Fernost-Vertreter auf dem grünen Tisch aufgestiegen und behielten diesen Status während sechs Weltmeisterschaften. Jedes Mal qualifizierten sie sich gegen die noch harmlosere Konkurrenz in der Fernost-Qualifikation und jedes Mal beendeten sie die WM auf dem letzten Rang, gewannen an sechs Turnieren kein Spiel, schafften aber zwei Mal ein Unentschieden (gegen Slowenien und Norwegen). Sushi-Parties in der Nacht vor einem Spiel waren nichts ungewöhnliches, weshalb die Japaner auch schon abschätzig als Hockey-Touristen belächelt wurden, absteigen konnten sie ja nicht. Nun hat der IIHF dieses Experiment abgebrochen, weil so eine Situation dem Eishockey nicht viel bringen kann. Erstmals seit der B-WM 1996 geht es damit für die Japaner um etwas an einer WM, kommen sie nicht als Touristen sondern als Gegner. Spielt man so wie in den vergangenen Jahren, wird die Abstiegsrunde an Spannung und Ernsthaftigkeit gewinnen und die Japaner nach all den Jahren als Sonderfall absteigen. Doch Achtung: Eishockey hat in der Breite in Asien an Popularität gewonnen, so sind die Japaner nach der diesjährigen Saison die stolze Nummer 13 unter den U18-Nationalteams. Schaffen es auch die "Grossen" diese Saison oder als Aufsteiger in ein paar Jahren sich nach oben zu orientieren und nicht auf Sonderregelungen zu setzen, wird man sie vielleicht doch bald wieder als sportlich qualifizierten Gegner begrüssen können. * Martin Merk ist der Herausgeber der Partnerseite hockeyfans.ch und nahm als schweizter Gastautor die Nationalmannschaft dritten Vorrundengegners unter die Lupe. Herzlichen Dank!
Ein Beitrag von Martin Merk, hockeyfans.ch Zusätzliche Spannung durch Weltrangliste Diese neue Erfindung, welche auf Vorreiter anderer Sportarten basiert, soll die Leistungen der letzten vier Jahren zusammenfassen. Und zwar die WM 2004 zu hundert Prozent, die WM 2003 zu 75 %, die WM 2002 sowie die Olympischen Spielen des gleichen Jahres zu 50 % und die WM 2001 zu 25 %, die WM 2000 mit dem erfolgreichen sechsten Platz für die Schweiz fällt in der neuen Wertung raus. Durch diese Konstellation ist es der Schweiz als Nummer 9 nach dieser Berechnung praktisch unmöglich, den achten Rang zu erreichen. Man müsste um fünf Plätze besser klassiert sein als einer der direkten Konkurrenten USA oder Deutschland. Und dann hätte man viele Privilegien an seiner Seite, die ja eigentlich schon eher für die Grossnationen USA/Deutschland gedacht wären: Die Direktqualifikation zu den Olympischen Winterspielen 2006, Topf 2 statt 3 bei der Auslosung zur WM 2005 am 12. Mai und damit theoretisch eine einfachere Gruppe sowie je nachdem ein Startplatz für den neuen europäischen Clubwettbewerb. Der Druck auf die Mannschaft von Ralph Krueger ist damit gewiss nicht kleiner geworden. Doch Krueger wäre nicht Krueger, würde er nicht optimistisch über die ganze Sache blicken. Während er es durchaus für möglich hält, um fünf Ränge besser zu sein als Deutschland oder die USA (dies war letzte Saison bei den Amerikanern sogar der Fall), planen andere beim Schweizerischen Eishockeyverband bereits für eines der drei Olympia-Qualifikationsturnieren, bei welchem die Nationen auf den Rängen 9 bis 11 Gastrecht haben. Es sollte an Stelle des Skoda-Cup vom 10. bis 13. Februar 2005 stattfinden, voraussichtlich in Basel oder Kloten. Ausser Kruegers Optimismus würde sich wider Erwarten bewahrheiten. Abseits all dieser Szenarien und Spekulationen kämpft man auch um die "üblichen Ziele", für welche man nicht auf zwei spezielle Gegner blicken muss. Die Viertelfinalqualifikation gilt zweifellos wieder als ein Mindestmass, eine bessere Klassierung als Rang 8 - erstmals seit 2000 - wäre Balsam für das zuletzt neben dem Eis turbulente Schweizer Eishockey. Mit Kanada, Österreich und Frankreich als Gruppengegner hat die Schweiz gemäss der Setzliste auf dem Papier die einfachste Gruppe seit mindestens fünf Jahren. Während gegen die kanadische NHL-Auswahl bereits eine knappe Niederlage als ehrenvolles Resultat gelten darf, sind die Schweizer gegen Österreich und Frankreich Favorit, der zweite Gruppenrang wird von der Schweiz erwartet - nicht mehr und nicht weniger. Die totale Blamage dagegen wäre ein vierter Rang und damit eine Teilnahme an der Abstiegsrunde, während ein dritter Rang die Möglichkeit einer Viertelfinalqualifikation in die Ferne rücken lässt, weil die Punkte aus den Direktbegegnungen mitgenommen werden. Seit Einführung dieses Modus vor vier Jahren hat von 16 Fällen nur einmal ein Gruppendritter noch das Viertelfinale erreichen können: 2000 die Kanadier, als sie aus der Vorrunde keinen Punkt mitnahmen, dafür alle drei Zwischenrundespiele gewannen und am Schluss Vierte wurden. Dieses Beispiel zeigt wie wichtig es für die Schweiz ist, bereits in der Vorrunde die Grundsteine zu legen. Wieder Schicksalsspiel gegen Deutschland? In der Zwischenrunde würden dann drei weitere Gegner - voraussichtlich Tschechien, Deutschland und Lettland - warten, gegen die etwa weitere zwei bis vier Punkte nötig wären um das Viertelfinale zu erreichen. Nach den Nachbarsduellen gegen Österreich und Frankreich wäre dann vor allem der Klassiker gegen Deutschland wohl vorentscheidend. Und genau hier hat man eine längere Rechnung offen: 2001 und 2002 verlor man an den Weltmeisterschaften ähnliche Schlüsselspiele gegen Deutschland kläglich und konnte dies nicht mehr wettmachen, kam nicht ins Viertelfinale. Nach einem Jahr Pause von diesem Deutschland-Trauma steht damit wohl wieder ein heisses Duell gegen die DEB-Auswahl an, natürlich immer vorausgesetzt, dass alles "erwartungsgemäss" verläuft. Der letzte WM-Sieg über Deutschland feierte die Schweiz übrigens 1992 - im Viertelfinale in Prag. Wenn das kein gutes Omen ist? Die Gruppengegner Zurück von der Zukunftsmusik zu den drei angesetzten Spielen: Die Schweiz tritt ein Mal als krasser Aussenseiter und zwei Mal als Favorit an. Gegen eine kanadische Mannschaft, welche ausschliesslich aus motivierten NHL-Spielern besteht, hat die Schweiz auf dem Papier gewiss keine grosse Chancen. Hier müssen die Schweizer auf Granit beissen und dem uneingespielten Gegner alles abverlangen. Immerhin aber sind die Kanadier erstmals in dieser Formation zusammen und bestritten nur zwei Spiele - gegen das zweitklassige Ungarn (9:2) und den Gastgeber Tschechien. Einen WM-Sieg gab es gegen die Kanadier noch nie und diese Saison wird es gewiss nicht einfacher. Immerhin wurden die Schweizer zuletzt respektvoll geschlagen: Mit 0:2 im vergangenen Jahr in Turku und ein Jahr davor mit 2:3 in Karlstad. Den letzten Punktgewinn gegen die Ahornblätter feierte man übrigens 1992 - ja genau: In Prag! Vor Kanada bekommt man es jedoch mit dem Aufsteiger Frankreich zu tun. Als Stars im Team von Heikki Leime gelten der SCB-Stürmer Sébastien Bordeleau (der Franko-Kanadier erhielt kurzfristig die Spielberechtigung vom IIHF), der zukünftige Langnau-Goalie Cristobal Huet von den Los Angeles Kings sowie die altbekannten Routiniers wie Arnaud Briand, François und Maurice Rozenthal, der AHL-Legionär Yorrick Treille und als grosse Überraschung Christian Pouget. Der wegen Marihuana-Konsums lange gesperrt gewesene frühere Chaux-de-Fonds-Verteidiger gab nicht nur in der zweiten (!) französischen Division für Chamonix das Comeback, sondern wagt es im Alter von 38 Jahren nochmals auf internationaler Bühne - etwa im Gegensatz zum vor zwei Jahren zurückgetretenen Philippe Bozon von Servette. Er ergänzt als Routinier die eher junge französische Verteidigung. Die sich im Generationenwandel befindenden Franzosen gilt es gewiss nicht zu unterschätzen, erreichte man doch im letzten Aufeinandertreffen 2002 in Salt Lake City nur ein 3:3, bei dem sich Maurice Rozenthal zwei Tore und ein Assistpunkt gutschreiben lassen konnte und Cristobal Huet 30 Schüsse hielt. Diese Topspieler sind nach wie vor im Einsatz und können an einem guten Tag ein Spiel entscheiden. Sie bilder weiterhin und bis zu ihrem Karrierenende das Gerüst der französischen Nationalmannschaft, denn neue Idole kommen in Frankreich nur behäbig hervor, wie etwa im Fall von Cristobal Huet, der sich mit Lugano und der Nationalmannschaft für einen Platz in der Organisation der Los Angeles Kings empfehlen konnte. Etwas geläufiger ist den Eisgenossen Österreich, auf das man in den letzten zwei Saisons drei Mal getroffen ist. Im Dezember 2002 gewann man die beiden Trainingsspiele in Herisau und Feldkirch deutlich mit 6:0 und 3:1. Im Dezember 2003 schien es anlässlich des Loto-Cup in der Slowakei einen ähnlichen Ausgang zu geben, doch schaffte man es in den letzten vier Minuten des Spiels, drei Tore (!) zum 3:3-Ausgleich zu kassieren. Blamable Schlussminuten, welche eine Lehre gewesen sein sollten, denn die Österreicher sind besser als ihr Ruf und haben auch junge Spieler in ihren Reihen, welche sich in Nordamerika durchzubeissen scheinen. Im Gegensatz zur Schweiz hat man zwar nicht viele Draftkandidaten und nicht die nötige Breite, um mit einer Juniorennationalmannschaft in der A-Klassigkeit zu bleiben, doch dafür gehen die Jungen mit viel Willen ans Werk. Wenn sie Talent haben, ist ihr Ziel nicht die österreichische Liga, wo es vergleichsweise wenig zu verdienen gibt, sie versuchen es über das College-Hockey, über die DEL oder andere europäischen Ligen und haben Erfolg dabei. Etwa der Torhüter Rainer Divis von St. Louis oder der verletzt ausfallende Christoph Brandner von Minnesota, letzte Saison Teamstütze beim deutschen Meister Krefeld. Zu ihnen zählen muss man auch den Nationaltrainersohn Thomas Pöck, der von seinem Vater Herbert für das nordamerikanische Eishockey gefördert wurde und als College-Verteidiger diese Saison für sechs NHL-Partien (4 Scorerpunkte!) zu den grossen New York Rangers gerufen wurde. Allgemein verlor die Schweiz in den vergangenen zehn Saisons zwar nur 2 von 12 Spiele gegen Österreich, dafür aber wegweisende: 1995 stieg man an der WM in Schweden nach einer 0:4-Schlappe gegen den östlichen Nachbar ab, 1997 verlor man im Barragespiel um den letzten Olympia-Platz in Duisburg gegen Österreich 0:2. Es waren damals die schwarzen Jahren der Nationalmannschaft in der B-Klassigkeit - bis der von Feldkirch gekommene heutige Nationalcoach Ralph Krueger an der Heim-WM 1998 mit dem vierten Platz einen erfolgreichen Einstand feierte. Frankreich wie auch Österreich hoffen als gefährliche Aussenseiter auf ihre Chance, zumal die Gruppe auch für sie als einfach gilt, hätten sie doch statt der Schweiz auch Russland oder Finnland aus dem Topf 2 zugelost erhalten können. Sie wittern ihre Chance und werden alles daran setzen, das Spiel der Schweizer zu unterbinden und haben wie alle Teams dieser Gruppe einen NHL-Mann im Tor. Diesbezüglich konnten die Schweizer im "Härtetest" bezüglich dieser Spielweise gegen Dänemark mit zwei Siegen überzeugen - jedoch nicht ohne Schwächen im Abwehrverhalten zu offenbaren, was bei gefährlichen Kontermöglichkeiten der Dänen zum Vorschein kam. Auch in dieser Hinsicht gilt es zu zeigen, dass man die bessere Mannschaft ist und sich auch bei überlegenen Spielanteilen nicht auskontern lässt wie etwa vor zwei Jahren gegen Frankreich. Spieler und Stimmung vor dem Prager Frühling Die Vorzeichen stehen bei diesen Gegnern auf Spannung. Jene Vorzeichen im Team stehen auf Optimismus - nicht nur bei Ralph Krueger. Dem Deutsch-Kanadier blieben diese Saison grössere mediale Aufregungen erspart. Die Giftpfeile hielten sich in Grenzen und aus Spielerkreisen gab es ebenfalls keine Nebenkriegsschauplätze. Neben Reto von Arx verweigerte einzig Lars Weibel schon lange im Voraus angekündigt seinen "Dienst", weil ihm an der WM 2003 Marco Bührer zu oft vorgezogen wurde. Bezüglich Torhüter ist Krueger aber auch so gut besetzt: Marco Bührer und Ronnie Rüeger galten als beste Torhüter in der NLA-Saison und Martin Gerber gehörte in der NHL statistisch zu den besten seines Metiers. Auch auf AHL-Legionäre kann man wieder zählen, etwa auf Julien Vauclair und Goran Bezina, welche Fortschritte gemacht haben und ihre ersten NHL-Erfahrungen sammeln durften, oder den vorzeitig zurückgekehrten Luca Cereda. In der Nationalmannschaft und beim Verband herrscht längst nicht mehr eine übertriebene Euphorie wie noch vor einigen Jahren, als man die Etablierung in den "Top 6" anvisierte, doch eine gute und realistische Stimmung, mehr Kraft und Einsatzfreude als auch schon. In ihrer Ruhe und trotz landesweit enttäuschenden Zuschauerzahlen wurde eine Nationalmannschaft feingeschliffen, welche Freude bereiten kann und hierzu auch genügend interessante Begegnungen erhält. Lassen wir uns überraschend, ob die goldene Stadt Prag den Schweizern neben all ihrem Charme auch Erfolg zu bieten hat, wie im "Prager Frühling" von 1992. Immerhin die Statistik spricht dafür: Sechs Jahre danach holte man 1998 in der Schweiz erneut den vierten Platz und nun sind seither sechs weitere Jahre vergangen und man ist zurück in der tschechischen Metropole. Austragungsmodus: Die letzte Sushiparty? Für die Schweiz als zweiter Gruppenfavorit ist diese Situation an der diesjährigen WM neu. Ansonsten hat sich nicht viel geändert. Von den vier Vierergruppen werden wieder je die drei besten weiterkommen und zu zwei Sechsergruppen für die Zwischenrunde zusammengefasst, wo jeweils die vier besten ins Viertelfinale kommen. Grössere Änderungen am Modus sollen zwar in Planung sein, etwa zwei Achter- statt vier Vierergruppen gefolgt durch die Zwischenrunde (wir berichteten), doch für diese Saison gibt es nur eine Neuerung: Japan verliert seinen Sonderstatus als Fernost-Qualifikant. 1998 waren sie mit der Aufstockung als Fernost-Vertreter auf dem grünen Tisch aufgestiegen und behielten diesen Status während sechs Weltmeisterschaften. Jedes Mal qualifizierten sie sich gegen die noch harmlosere Konkurrenz in der Fernost-Qualifikation und jedes Mal beendeten sie die WM auf dem letzten Rang, gewannen an sechs Turnieren kein Spiel, schafften aber zwei Mal ein Unentschieden (gegen Slowenien und Norwegen). Sushi-Parties in der Nacht vor einem Spiel waren nichts ungewöhnliches, weshalb die Japaner auch schon abschätzig als Hockey-Touristen belächelt wurden, absteigen konnten sie ja nicht. Nun hat der IIHF dieses Experiment abgebrochen, weil so eine Situation dem Eishockey nicht viel bringen kann. Erstmals seit der B-WM 1996 geht es damit für die Japaner um etwas an einer WM, kommen sie nicht als Touristen sondern als Gegner. Spielt man so wie in den vergangenen Jahren, wird die Abstiegsrunde an Spannung und Ernsthaftigkeit gewinnen und die Japaner nach all den Jahren als Sonderfall absteigen. Doch Achtung: Eishockey hat in der Breite in Asien an Popularität gewonnen, so sind die Japaner nach der diesjährigen Saison die stolze Nummer 13 unter den U18-Nationalteams. Schaffen es auch die "Grossen" diese Saison oder als Aufsteiger in ein paar Jahren sich nach oben zu orientieren und nicht auf Sonderregelungen zu setzen, wird man sie vielleicht doch bald wieder als sportlich qualifizierten Gegner begrüssen können. * Martin Merk ist der Herausgeber der Partnerseite hockeyfans.ch und nahm als schweizter Gastautor die Nationalmannschaft dritten Vorrundengegners unter die Lupe. Herzlichen Dank!