Eine Liga zwischen Prosperität und Insel-Syndrom
Die Stadtklubs als Favoriten in der morgen Freitag beginnenden Eishockey-Meisterschaft - Starke Strukturbereinigung im Gange
Im Jubiläumsjahr «100 Jahre Schweizer Eishockey» starten die Stadtklubs als Favoriten in die Meisterschaft der Nationalliga A, in der nach 50 Runden ab 26. Februar 2009 die Plays-offs beginnen. Im Vorjahr gewannen die ZSC Lions aus der 6. Position ihren 6. Titel.
Der Weg bis zum Meisterbecher führt in der Nationalliga A, die seit 2000 mit einer Ausnahme 12 Mannschaften umfasst, über 50 Runden in der Regular Season und mindestens 12 Play-off-Matches, in deren Verlauf ein Gesellschafter der NL GmbH im besten Fall eine mittelmässige Saison innert kurzer Zeit korrigieren kann. Spieler, die zusätzlich im Europa-Cup und im Nationalteam arbeiten, kurven in diesem Winter für zirka 90 Partien auf dem Eis herum. Die Akkordarbeit entspricht nicht den Vorstellungen aller konservativen Konsumenten, ist indes im internationalen Vergleich Usanz, verbunden mit dem Ziel, sich dem gängigen Rhythmus anzunähern.
Liga für die Besten und Lebensfähigen
Hierzulande wählten die für Reformen Zuständigen das stufenweise Vorgehen: zuerst mit dem Beschluss von 1996, die Qualifikation von 36 auf 46 Partien zu erhöhen, dann mit der Aufstockung auf 50 Matches (2007), wobei die Integration einer separaten Runde gegen drei Teams (vgl. Box-Formel) nicht der Weisheit letzter Schluss ist, im Endeffekt sportlich aber sinnvoller ist als etwa die Aufstockung auf 14 Equipen, wie sie «Visionären» in der Romandie vorschwebt. Die NLA muss politisch ein Konzentrat der sportlich Besten und der wirtschaftlich Lebensfähigen bleiben. Positiv ist der politische Konsens zu werten, an der Formel für diesen Winter nichts zu ändern.
Im europäischen Kontext zählt die NLA zu den besten Ligen, nur im Schatten etwa der Championats in Schweden und Finnland - das russische Expansionskonstrukt ausgeklammert. Sie prosperiert, was das Zuschaueraufkommen mit einem Durchschnitt im Streubereich von 6000 Besuchern pro Partie belegt. Obwohl Eishockey (25 000) im Vergleich mit dem Fussball über neunmal weniger Lizenzierte mobilisiert, kennt es von allen Teamsportarten in der Schweiz die stärkste Kultur. In der Region sind Klubs wie Davos, Bern oder neuerdings wieder Genf/Servette starke Marken, mit denen sich ein breites Publikum identifiziert. Diese Verwurzelung führte, ähnlich wie in der Fiskalpolitik, zu einem harten interkantonalen Wettbewerb. Qualitativ gut ist der Zuspruch aus der Wirtschaft mit Kantonalbanken (EV Zug, Freiburg) oder Wirtschaftskapitänen aus der ersten Reihe als Aktionären (ZSC, Davos). Gepflegt wird zudem die Kontinuität. Die das Bankfach abdeckende Postfinance wird 2010 in Klubs und im Verband 10 Jahre Präsenz vorweisen, im SC Bern feiert die Marke Peugeot bald 20 Jahre Partnerschaft.
Optimierung im Annex-Bereich
Die finanzielle Prosperität belegt das starke Umsatzwachstum der NL GmbH. Setzten die Gesellschafter der Ligen A und B im Jahr 2000 gut 100 Millionen Franken um, nähert sich diese Marke neun Jahre später einer Viertelmilliarde. Ein Platz im oberen NLA-Mittelfeld bedingt heute einen Etat von gut 10 Millionen Franken. Die Tendenz zur Einnahmenoptimierung läuft über den Annexbereich. In modernen Arenen holen die Vereine Geld aus dem Catering und der Hospitality mit dem Ziel, pro Zuschauer eine höhere Wertschöpfung zu erzielen. Im Umstrukturierungsprozess führt der SC Bern, der aus der Restauration Millionen abschöpft. Freiburg erzielte im ersten Jahr mit eigenem Sport-Café 600 000 Franken Gewinn. Unterwegs zu mehr Restaurant-Franken sind Rapperswil, Zug, Kloten oder Davos.
Klar ist die Forderung der Zukunft: Ohne taugliche Arena ist Spitzeneishockey bis in zwei, drei Jahren nicht mehr finanzierbar. Entsprechend unter Druck geraten Vereine wie Ambri-Piotta, Langnau und Gottéron mit ihren Eternithütten. Die Ligaführung wird bei der infrastrukturmässigen Konditionierung hart bleiben müssen, nicht nur verbal, zumal dieser Komplex auch die Frage der Sicherheit tangiert. Im inneren Stadionbereich hielten die Vereine ihre heiklen «Kunden» bisher einigermassen im Griff.
Pekuniär verwöhnte Mitläufer
Erhöhte wirtschaftliche Volumina machen vielerorts das Aktien- zum reinen Risikokapital und verstärken die Tendenz, dass die NLA zur Liga der zwei oder gar drei Geschwindigkeiten wird. Der Auftrieb bei den Salären ist beunruhigend, weil die Steigerung linear verläuft und auch Mitläufer (zu) stark verwöhnt. Ein gestandener Schweizer Berufsmann verdient heute im Rink 300 000 Franken im Jahr mit einer nach oben offenen Lohnskala. Fähige Legionäre bedingen Brutto-Aufwände ab 700 000 Franken, wobei die Klubs (Lugano) heuer erstaunlich prominente Söldnernamen vorweisen in Anbetracht des ausgetrockneten Ausländermarktes.
In der Schweiz ist der Hockey-Souk ein Spielermarkt, was vom Konkurrenzwesen her unerwünscht ist und zu einem Insel-Syndrom führt, das Arbeitnehmern erlaubt, auch mit halber Kraft die Existenz zu erhalten. Eine solche Situation kann der Stagnation Vorschub leisten. Zu begrüssen sind deshalb alle Optionen, welche mithelfen, personell den Schweizer Betrieb zu öffnen, zu durchlüften. Der wegweisende Transfer von Mark Streit in die NHL nach New York ist ein Tonikum ohnegleichen für den Schweizer Berufsstand. Es ist in der Tat nicht nachvollziehbar, warum nicht mehr Schweizer Qualität in Übersee bestehen kann, etwas, was Slowaken, Tschechen, Deutsche oder Österreicher ohne weiteres schaffen. Ein Aderlass an die NHL kann die Substanz der hiesigen Liga temporär tangieren, früher oder später kehren die Gastarbeiter aber wieder in die eigene Liga zurück - vom Marketing her sicher ein Gewinn.
Ob der x-te Versuch, heuer einen Europa-Cup zu lancieren, in der lokalen Weltsportart Eishockey Erfolg haben wird, bleibt offen. Die Präsenz der A-Liga am Versuch ist erwünscht. Die ZSC Lions als Meister sind qualifiziert, der SC Bern kann die Fahrkarte an einem Turnier in Nürnberg lösen. Unabhängig davon, ob Europa-Partien die Zuschauer anlocken, wird die verdichtete Kompetition den Klubs helfen. Wenn jetzt Stadtklubs an dieser Schwelle stehen, ist dies kaum ein Zufall. Eishockey expandiert heute vor allem in urbane Zentren. Dort, wo das Geld liegt, werden die Talente aus ländlichen Regionen veredelt. Dem Sog in die Citys trotzt Rekordmeister Davos dank Ausbildnerqualitäten seines Rektors Arno Del Curto und Präsenz eines Sportgymnasiums.
Sportlich verspricht die Ausgangslage mehr Ausgeglichenheit als im Vorjahr, als der SC Bern die Regular Season mit 22 Punkten Vorsprung gewann. Die Stadtberner verfügen wie der Meister ZSC Lions über ein breites Kader, in dem Internationale selbst im vierten Block auftauchen können. Ob eher offensiv ausgerichtete Teams wie Davos oder Lugano den Trend zur defensiven Sicherung im Rink brechen können? Unverändert hoch bleibt der Stellenwert der Goalies, bei denen Konstanz und Leistung mehr zählen als der Jahrgang. Sulander (ZSC) oder Bührer (Bern) bleiben Referenzgrössen. Wie zuletzt fast jede Saison dürfte die dichte Spielfolge auch heuer ein prominentes Opfer fordern, nachdem im Vorjahr Lugano im Play-out gelandet war. Wer einmal völlig den Tritt verliert, riskiert Ungemach während Wochen. Über Erwarten stark präsentierte sich in der Vorsaison die Romandie. Exploits von Freiburg und Genf/Servette bereicherten die nationale Hockey-Kultur, der Besitzstand dieser Gesellschafter ist indes nicht garantiert.
Jürg Vogel
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NZZ, Internationale Ausgabe, 04.09.2008, Seite 45