Arno Del Curto im Interview vor dem Play-off-Final
«Das Wichtigste ist, sich selber zu bleiben»
Arno Del Curto ist so etwas wie der ewige Trainer im Schweizer Eishockey. Seit 1996 führt er den HCD. Er sagt, wichtiger als Taktik und Technik sei Leidenschaft.
Haben Sie Ihren Vertrag beim HCD mittlerweile verlängert?
Nein, jetzt spielen wir die Play-offs. Alles andere muss warten.
Sie haben immer neue Ausreden, um den Entscheid hinauszuschieben.
Das sind keine Ausreden. Es sind Dinge passiert, die mich schwer getroffen haben und bis heute beschäftigen. Ich bin ein sensibler Mensch.
Sie sprechen vom Fall um Reto von Arx?
Nicht nur. Es sind verschiedene Dinge vorgefallen.
Werden Sie konkreter.
Das kann ich nicht. Nicht im jetzigen Moment. Wie gesagt: Wir spielen in den Play-offs. Aber es ist so: Es ist ein harter Entscheid, uns von Jan und Reto (von Arx, die Red.) zu trennen. Das ist nicht spurlos an mir vorbeigegangen.
Bleibt es wirklich bei der Trennung? Es kursiert das Gerücht, Reto von Arx werde doch noch eine Saison anhängen.
Es hat eine Annäherung stattgefunden. Aber wenn wir uns nun vor dem Final mit solchen Fragen auseinandersetzen, müssen wir gar nicht antreten.
Aber die Freundschaft zwischen Ihnen sollte die Krise überstehen?
Ich hoffe es. Wir sprechen zumindest wieder miteinander.
Sie haben vor den Play-offs gesagt, Sie wollten sehen, wie das Team auf Sie reagiert. Ihr Team steht im Final, also können Sie Ihren Vertrag verlängern.
Es ging nie darum, wie das Team auf mich reagiert, sondern auf die Gegebenheiten, auf die ganzen Umstände.
Überrascht es Sie, dass Ihre Mannschaft im Final steht?
Wenn ich sehe, wie sich gewisse Spieler entwickelt haben, dann ja. Nehmen Sie nur das Beispiel von Fabian Heldner. Er hat vor einem Jahr nicht einmal in Visp regelmässig gespielt.
Nun spielen Sie im Final gegen die ZSC Lions. Zürich war Ihre erste Trainer- station in der Nationalliga A. Mehr noch: Sie haben sich einst als Anhänger des Klubs geoutet. Macht das den Final für Sie speziell?
Nein, nicht unbedingt. Es ist ja nicht mehr derselbe Klub wie zu meiner Zeit. Ich liebe das Hallenstadion, aber weniger wegen meiner Eishockey-Erinnerungen als wegen der Konzertbesuche.
Was hat für Sie vom alten ZSC überlebt?
Es gibt viele Menschen dort, die immer noch für den Klub arbeiten – und zwar von ZSC- und GC-Seiten. Ich kenne ja beide. Ich hatte in den ersten Spielen als HCD-Trainer gegen den ZSC Mühe gehabt. Es dauerte fünf, sechs Jahre, ehe ich mich lösen konnte.
Bei aller Vorbildlichkeit der Organisation: Das Unternehmen ZSC Lions wirkt heute auch etwas unterkühlt. Könnten Sie sich noch gleich mit dem Klub identifizieren wie damals?
Doch, doch. Walter Frey war ja einmal mein Chef, als ich Verkaufsförderer bei der «Züri-Woche» war. Er ist ein phantastischer Mensch. Was er für die Stadt, für den Kanton Zürich gemacht hat, lässt sich kaum abschätzen. Und Peter Zahner (der CEO, die Red.) hat in Reinach unter mir gespielt.
Sie hätten zum ZSC wechseln können. Bern wollte Sie, Lugano sowieso. Was hat Sie die ganze Zeit in Davos gehalten?
Die Spieler hier in Davos sind mir ans Herz gewachsen. Ich habe es einfach nie über mich gebracht zu gehen. Einmal sagte ich einem Klub zu, und zwar Sankt Petersburg. Über Nacht ging es mir hundsmiserabel. Am anderen Morgen rief ich in Russland an und sagte ab.
Falls Sie nun mit dem HCD ein sechstes Mal Meister werden sollten, wäre es der richtige Moment, sich neu zu orientieren.
Eigentlich müsste ich das so machen. Falsch: Ich hätte es schon vor vier Jahren machen müssen, als wir letztmals Meister wurden. Es ist normal, dass man nach einer so langen, so erfolgreichen Ära einmal in ein Loch fällt. Vor einem Jahr, als es zu kriseln begann, sagte ich mir mehr als einmal: «Was bist du eigentlich für ein . . .»
Was entscheidet darüber, ob man ein guter oder ein schlechter Coach ist?
Das müssen Sie andere fragen.
Warum? Sie müssen es wissen. Sie waren fünfmal Meister.
Es geht immer wieder um dasselbe: Es braucht Mut, Energie, Fachwissen und vor allem Leidenschaft. Leidenschaft ist wahrscheinlich das Wichtigste.
Welche Rolle spielt das Umfeld? Es gibt viele, die behaupten, Ihre Art zu arbeiten funktioniere nur in Davos.
Ach was! Die Menschen funktionieren überall gleich. Ich verstehe diese Ansicht nicht. Ich gehe noch weiter: Es wäre in gewissen Mannschaften einfacher als in Davos, Erfolg zu haben.
Weil andere mehr Mittel haben?
Darüber will ich nicht sprechen.
Sie hatten in Davos auch nicht von Anfang an Erfolg. Sie gewannen den ersten Titel in Ihrer sechsten Saison.
Das war auch normal. Wenige Jahre zuvor hatte der HCD ja noch in der 1. Liga gespielt. Wir verjüngten die Mannschaft kontinuierlich. Es gibt Klubs, die kommen 50 Jahre lang nicht in die Play-offs.
Das wollen wir gar nicht in Zweifel ziehen. Aber wie wichtig war die Geduld, die Ihnen der Klub entgegenbrachte?
So viel Zeit brauchten wir gar nicht. Im zweiten Jahr erreichten wir bereits den Final. Dann dauerte es noch einmal vier Jahre, bis wir den ersten Titel gewannen. Wir krankten an hausgemachten Problemen. Heute weiss ich: Taucht so etwas auf, muss man sofort handeln. Aber ich bin nun einmal «ä lieba Siach».
Ist dieser «liebi Siach», wie Sie es nennen, eine Stärke oder eine Schwäche?
Ganz klar eine Stärke. Wenn man sich mit den Spielern anlegt, dann ziehen sie auf die Dauer nicht mit. Man zieht immer den Kürzeren.
Ihr ehemaliger Captain, der heutige HCD-Marketingleiter Marc Gianola, sagt, Sie seien im Umgang mit dem Team nicht mehr gleich kumpelhaft wie zu seiner Aktivzeit. Stimmt das?
Ja, es ist gar nicht mehr möglich. Das ist eine Konsequenz aus der angesprochenen Enttäuschung. Aber ich behaupte nun einfach einmal, dass ich immer noch viel näher und kollegialer als die meisten anderen Trainer bin.
Als Sie nach Davos kamen, hatten Sie die Unverfrorenheit zu sagen, Sie seien kein Bündner, sondern ein Engadiner.
Das war jugendlicher Leichtsinn.
Es gibt Arno Del Curto, den Engadiner, den Wahl-Zürcher, den Wahl-Davoser. Was sind Sie heute?
Ein Davoser, der sehr gerne in Zürich ist und das Engadin liebt.
Nun sprechen Sie wie ein Politiker. Wo verbringen Sie den Sommer?
Im Kanton Bern (Del Curto ist mit einer Bernerin liiert, die Red.).
Sie haben letzte Woche im Training den Text der Nationalhymne verteilen lassen. Sind Sie neben Engadiner, Davoser, Zürcher und Berner auch noch ein Patriot?
Es gehört doch dazu, den Text der Nationalhymne zu kennen und sie mitsingen zu können (die Hymne wird vor den Finalspielen abgespielt, die Red.). Schauen Sie doch einmal, wie die Amerikaner, die Kanadier, die Italiener oder die Franzosen singen, wenn ihre Hymne gespielt wird. Ich bin kein konservativer Romantiker, im Gegenteil. Aber die Schweiz ist unser Vaterland.
Was haben Sie für eine Meinung zur Kulturdebatte, die rund um die Fussball-Nationalmannschaft entbrannt ist?
Ich stehe im Play-off-Final und kümmere mich nicht um Fussball-Fragen.
Was würde Ihnen ein sechster Titel bedeuten?
Nicht mehr als der erste, zweite, dritte, vierte oder fünfte. Es geht mir um die Arbeit, die Verwirklichung meiner Ideen. Titel oder Ehrungen bedeuten mir nichts.
Wie sehr beobachten Sie andere Trainerpersönlichkeiten?
Gar nicht. Jeder weiss: Das Wichtigste ist, sich selber zu bleiben. Deshalb hat ein junger Trainer auch keine Zeit zu lernen. Er muss von Anfang an können. Letztlich muss jeder selber lernen zu verlieren, aber auch lernen zu gewinnen, ohne dabei abzuheben. Schauen Sie das Beispiel des Dortmund-Trainers Jürgen Klopp an: Er liess seine Mannschaft so grossartig spielen. Dann wurde er grösser als sein Team. Dass die Spieler davon früher oder später die Schnauze voll haben, ist absehbar.
Auch um Sie gibt es einen Personenkult.
Ich versuche, ihn zu bremsen. Ich gebe Interviews wie dieses. Das gehört zum Geschäft. Aber sonst? Wie oft sehen Sie mich in Fernsehsendungen oder in der «Schweizer Illustrierten»? Klopp war überall. Er ist gleich berühmt wie die Bundeskanzlerin. Das sehen die Spieler, und irgendwann kommt das zurück.
Vor wenigen Wochen geriet Ihr Sohn in die Schlagzeilen. Er hatte versucht, den Zuger Mannschaftsbus auf der Reise nach Davos auszubremsen.
Er wollte mir helfen, natürlich auf die falsche Weise. Es ist nicht einfach, mein Sohn zu sein. Man misst, man vergleicht. Ich weiss, wovon ich spreche. Auch ich hatte einen Vater, der sich einen Namen gemacht hatte, als Trainer, Funktionär und Schanzenbauer im Skispringen. Er wollte, dass ich in seine Fussstapfen trete. Ich sprang in St. Moritz einmal über die grosse Schanze. Das hat mir gereicht. Ich warf ihm die Ski vor die Füsse und sagte ihm: Nie wieder. Danach haben wir zwei Jahre lang kein Wort mehr miteinander geredet.