"DIE WAHRHEIT IST ZUMUTBAR!"
Ja, caro eduardo di dragi, da hast Du recht!
Aber "die Wahrheit" darf trotzdem nicht um jeden Preis in einem Medium verbreitet werden.
Du wirst Dich vielleicht gefragt haben, warum darf ich in einem Medium, einer Zeitung, im Fernsehen oder in diesem Forum, nicht die "Wahrheit" berichten, dass der X oder der Y wegen einer bestimmten strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilt worden ist, wenn das doch stimmt? Warum sind meine Beiträge gelöscht worden?
Warum droht das Mediengesetz dem Inhaber dieses Mediums, hier unserem webmaster an, an den von der Mitteilung der "Wahrheit", dass er rechtskräftig verurteilt worden ist", eine Entschädigung für "die erlittene Kränkung" bis zu 20.000 Euro zahlen zu müssen, weil er es zB unterlässt, Beiträge zu löschen, in denen Du die Wahrheit verbreitest, dass der X oder Y rechtskräftig verurteilt worden ist wegen irgendeines Delikts und wenn das Interesse der Allgemeinheit an dieser Information das Interesse des Betroffen X oder Y an der Nicht-Verbreitung dieser Information nicht überwiegt?
Wenn jemand wegen eines Delikts von einem Strafgericht verurteilt worden ist, dann ist damit in unserer Gesellschaft eine Stigmatisierung dieser Person verbunden. Die meisten Mitmenschen zeigen mit dem Zeigefinger auf einen Verurteilten und bedeuten ihm, mit so einem "Kriminellen" will ich nichts zu tun haben. Wenn die (rechtskräftige) Verurteilung eines Menschen in einem Medium wie einer Zeitung oder diesem Forum verbreitet wird und wenn diese Information damit einer großen Zahl von Menschen bekannt wird, dann ist die Gefahr groß, dass viele Menschen auf den Verurteilten mit dem Zeigefinger zeigen. Und dann ist die Gefahr groß, dass der Verurteilte, auf den von diesen vielen Menschen mit dem Zeigefinger gezeigt wird, die Rolle als "Krimineller", die ihm von den Mitmenschen zugeschrieben wird, akzeptiert und diese Rolle als "Krimineller" in Zukunft auch lebt, weil wir alle unser Leben (auch) nach den Erwartungen unserer Mitmenschen an uns einrichten. Das ist eine empirisch abgesicherte Tatsache. Ein Beispiel: Von einem Angestellten einer Bank am Kassaschalter erwarten wir Seriosität im Umgang mit dem Geld, das wir ihm anvertrauen oder das wir uns ausleihen. Dieser Bankangestellte "macht" in seinem Berufsalltag auf "seriös", weil wir das von ihm erwarten, und im Laufe der Jahre wird er, wenn er das nicht ohnedies schon immer getan hat, dieser Rolle verinnerlichen und ein seriöser, korrekter Mensch sein und auch so leben (die Ausnahmen bestätigen, wie immer, die Regel).
Wenn ich einen Menschen zum "Kriminellen" abstemple, insbesondere in einem Massenmedium, dann besteht die große Gefahr, dass dieser Mensch diese Rolle als "Krimineller" akzeptiert und sich für den Rest seines Lebens als "Krimineller" aufführt - auch damit wird in der Kriminologie das Phänomen des Rückfalls von Straftätern erklärt. Diese so genannte "Stigmatisierungstheorie", oder auch "labeling approach" genannt, erklärt plausibel das Phänomen, dass zwar viele Menschen mehr oder weniger kriminell handeln - jeden Sonntag werden in Österreich zB rund 600.000 Zeitungen gestohlen, und zwar nicht von Ostbanden, sondern von österreichischen Otto-Normal-Verbrauchern -, dass diese Zeitungsdiebe aber, weil sie nicht entdeckt und weil ihnen auch nicht der Strafprozess gemacht wird und weil sie auch nicht in der Öffentlichkeit in Medien als "Kriminelle" an den "Pranger" gestellt werden, ihre Rolle als "Otto-Normal-Verbraucher" nicht aufgeben und am Montag wieder brav in die Arbeit gehen, ihren familiären Pflichten nachkommen und sich um ihre Frau und um ihre Kinder sorgen und an der Feuerwehrübung mitwirken etc. Kurzum, dass sie trotz gelegentlicher (=sonntäglicher Zeitungsdiebstähle) wertvolle Mitglieder der Gesellschaft bleiben, soziale Bindungen pflegen und sich um andere Menschen kümmern.
Um die Gefahr zu bannen, dass jemand die ihm zugeschriebene Rolle als "Krimineller" akzeptiert und den Rest seines Lebens auch auslebt, dass er nicht nur weitere Straftaten begeht (Rückfall), sondern auch soziale Bindungen aufgibt, also "asozial" wird und rücksichtslos lebt etc, trachtet man, die mit einer Verurteilung immer verbundene "Stigmatisierung" so gering wie möglich zu halten - die Pranger, an die früher Verurteilte gebunden worden sind, werden aus genau diesem Grund nicht mehr verwendet, ja, heute werden sogar förmliche Strafprozesse wegen der damit verbundenen Stigmatisierungsgefahr vermieden und Straftaten im Rahmen der Diversion unter Mitarbeit von Sozialarbeitern "informell" erledigt, um nur ja nicht unnötig oft Betroffene als "Kriminelle" stigmatisieren zu müssen.
In einem Medium darf deshalb über eine Verurteilung unter Bekanntgabe der Identität des Verurteilten ausnahmsweise nur dann berichtet werden, wenn das öffentliche Interesse an dieser Bekanntgabe das private Interesse des Betroffenen an der Geheimhaltung seiner Identität überwiegt. Wenn der Verurteilte also ein "nobody" ist, an dessen Person kein öffentliches Interesse besteht, dann darf seine Identität nie gelüftet werden in einem Medium, weil dies keinen Nutzen für die Gesellschaft brächte (Informationsbedürfnis ist "null"), weil dem Bedroffenen (Ehrverletzung) und der Gesellschaft (Gefahr des Rückfalls in Straffälligkeit und der Asozialität des Betroffenen wegen der Stigmatisierung) also nur Nachteile brächte.
Damit diese Nachteile wirksam vermieden werden, wird der Medieninhaber in die Pflicht genommen: Er, und niemand anderer, hat die Macht, schnell und effektiv zu bestimmen, was in seinem Medium veröffentlicht wird und was nicht. Und zur Erfüllung der Pflicht, als Medieninhaber dafür zu sorgen, dass die Identität eines Verurteilten nicht publiziert wird, wenn kein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit daran besteht, wird dem Medieninhaber die Schadenersatzpflicht bis immerhin 20.000 Euro angedroht.
salute, vincente.