Warum eines der kuriosesten Tore in der Eishockeygeschichte doch nicht gegeben wurde
MANNHEIM 514c. Dieses kleine Biest hatte die Nürnberger Eishockeyspieler so richtig wütend gemacht. Aber auch nur, weil sie es nicht kannten. 514c ist nämlich diese fast unbekannte Regel, die den Ice Tigers vielleicht den Einzug ins DEB-Pokalfinale, ganz sicher aber viele Nerven gekostet hat.
Von Simon Richter
Nur, um es vorweg zu nehmen: Hauptschiedsrichter Harald Deubert war absolut schuldlos. Weiter noch, der erfahrene Mann aus Bad Kissingen hatte sogar alles richtig gemacht. Und damit war er wohl der Einzige in der SAP Arena, der wusste, was in einer derart kuriosen Situation zu tun ist.
Alle anderen, die Trainer, Akteure, Zuschauer, Betreuer, ja, wahrscheinlich sogar die Spielerfrauen, schauten sich in diesem Moment mehr oder weniger belämmert an und zuckten mit den Schultern. Denn solch ein Kuriosum hatte auch von ihnen noch niemand gesehen.
Es lief gerade das zweite Drittel in der Pokal-Halbfinalbegegnung zwischen den Adlern Mannheim und den Nürnberg Ice Tigers am Dienstagabend. Gerade hatte ein Gästespieler einen Mannheimer derart ungeschickt angegangen, dass sich bereits genannter Deubert gezwungen sah, seinen Arm zu heben, um eine zweiminütige Bankstrafe für den Nürnberger Akteur anzuzeigen. So weit nichts Bemerkenswertes, auch nicht die Tatsache, dass der Mannheimer Torhüter Ilpo Kauhanen postwendend sein Tor verließ. Immerhin weiß fast jeder, und dafür muss man kein Eishockey-Experte sein, dass eine Partie so lange weiterläuft, bis ein Spieler der bestraften Mannschaft den Puck berührt. Dementsprechend gingen die Adler mit Kauhanens Herausnahme auch kein Risiko ein, schließlich konnte in dieser Situation kein Gegentor fallen. Dafür hätte schließlich ein gegnerischer Spieler den Puck touchieren müssen, was ihm ja nicht gestattet ist. Hier bewegen wir uns noch im Anwendungsbereich der Regel 514b, nicht 514c wohlgemerkt, im Wortlaut nachzulesen im Regelbuch des Eishockey-Weltverbandes IIHF.
Nun geschah allerdings Unglaubliches: Nachdem Kauhanen aus seinem Kasten geeilt war, bemühten sich die Adler, den Vorteil eines sechsten Feldspielers zu nutzen und ein Angriffsspiel aufzubauen. Allerdings hatte keiner mit der Nervosität, oder besser gesagt, dem Black-out von Mannheims Stürmer Sachar Blank gerechnet. Dieser versuchte nämlich einen Pass zu spielen, beförderte das Spielgerät stattdessen jedoch in den eigenen, von Kauhanen verlassenen Kasten.
Was folgte, war besagtes Schulterzucken. Einzig und allein Schiedsrichter Deubert bewies Regelsicherheit. Zwar gehört dies zu seinem Job, allerdings ist auch ihm eine solche Szene erstmals untergekommen. Zielsicher richtete er sich auf, führte seine Arme vor dem massigen Körper, um sie mit einer bedeutungsschweren Geste auseinanderzureißen - kein Tor (Hierbei handelt es sich um den so genannten Wash-out, IIHF-Regelbuch, Anhang 5. Aber das nur am Rande.).
Es folgte ein großes Tohuwabohu, was ja auch irgendwie verständlich war. Denn nicht einmal die Vertreter der Presse konnten sich entsinnen, je von einer solchen Situation gelesen, geschweige denn, sie gesehen zu haben. Dabei hatte der Internationale Eishockey-Verband vorgesorgt und genau jenes Fallbeispiel - so unwahrscheinlich es auch sein mag - in seinem großen Regelbuch festgehalten. Immerhin könnte es ja sein, dass dies einmal irgendwann, irgendwo, irgendwem auf der Welt passiert. Und dieser Zeitpunkt war Dienstag, der Ort Mannheim und der Mann, der dies tatsächlich zu Stande brachte, Sachar Blank.
Dieser hatte nach dem Spiel wahrscheinlich erst einmal das Regelbuch zur Hand genommen und auf Seite 63 unter Punkt 514c nachgeschlagen. Hier ist zu lesen: "Ist der Puck durch die Aktion eines Spielers des schuldlosen Teams ins eigene Tor eingedrungen, während der Schiedsrichter eine Strafe anzeigt, aber das Spiel noch nicht unterbrochen hat, ist das Tor nicht gültig, und die angezeigte Strafe wird in gewohnter Weise verhängt."
Und an dieser Stelle - alle Nürnberger werden es nachsehen - sollte auch einmal eine Lanze für die oft kritisierten Schiedsrichter gebrochen werden. Wie gesagt, natürlich ist es die Aufgabe eines Schiedsrichters, die Regeln zu kennen. Aber fahren wir nicht auch alle täglich Auto und sind uns trotzdem nicht jeder einzelnen Vorschrift bewusst? Entweder, weil wir sie nie gelernt oder schon längst vergessen haben?
Übrigens: In der nordamerikanischen Profiliga NHL hätte das Tor gezählt, da hier ein eigenes Regelwerk gilt. Bleibt am Schluss also die Feststellung, dass die Nürnberger, hätte das Spiel in New York stattgefunden, nun vielleicht im Finale des DEB-Pokals stünden. Und ihre Nerven hätten sie auch geschont.
Hand aufs herz, wer von euch (außer oleg vielleicht) hätte das gewußt?